Wann ist eine Stadt eine Fahrradstadt? Und ist Oldenburg eine Fahrradstadt oder sollte man sie lieber nicht so nennen? Das scheinen Fragen zu sein, die die Gemüter bewegen. Denn aus irgendeinem Grund, ist ein solches Label für eine Stadt wohl wichtig. Und es ist wie ein Wettbewerb. Und zwar um diesen Titel einerseits und scheinbar gleichermaßen darum, so wenig wie möglich dafür zu tun. Im Rahmen der Reihe „Oldenburg erinnern. Oldenburg verändern.“ hatte ich die Gelegenheit, unter anderem darüber auf dem Podium mit Claudius Mertins vom Oldenburger Stadtmuseum zu diskutieren. Das Gespräch wurde vom Oldenburger Lokalfernsehen OldenburgEins aufgezeichnet und steht bei YouTube zur Verfügung. Mit dabei im Publikum war auch Lars Schwarz, der sich mit der Frage „Wieso eigentlich (immer noch) „Fahrradstadt Oldenburg“?“ in seinem Blog beschäftigt. Und mit weiteren Beiträgen einen interessanten Bogen aus der Vergangenheit bis in die Zukunft spannt.
Nenn mich nicht Fahrradstadt
Der Hashtag #nennmichnichtfahrradstadt wurde in Münster geprägt und ist wohl auf viele (deutsche) Städte übertragbar. Unter anderem auf die Stadt Oldenburg im Norden, wo man zwar – so hat es Lars in seinem Beitrag sehr gut heraus gearbeitet -, mit dem Etikett „Fahrradstadt“ kokettiert, dies aber weder durch Zahlen noch durch das Erleben in der Stadt nachvollzogen werden kann. Stattdessen regiert eine Art stilles Beharrungsvermögen, das schon deutlich mehr als zwanzig Jahre Bestand hat. Claudius fragt mich im Rahmen der Veranstaltung sinngemäß, wo und wann Oldenburg „falsch abgebogen“ sei. Schließlich habe die Stadt und das Umland durch verschiedene Faktoren und historische Hintergründe beste Voraussetzungen zur Fahrradstadt. Und ich glaube tatsächlich, dass eine Art Bruch bereits Ende der 60ger Jahre, nach der Ausweisung der Innenstadt als Fußgängerzone, stattgefunden hat. Ein mutiges und ambitioniertes Vorhaben, das quasi nach Lehrbuch zunächst an einigen Samstagen 1967 pilotiert und dann im gleichen Jahr dauerhaft umgesetzt wurde. Ganz nebenbei sicherte sich die Stadt damit die Krone der ältesten, zusammenhängenden Fußgängerzone Deutschlands. Ist ja auch schon was und auch schon was her, wie man so sagt.
Ähnliches hätte man sich nach der Aufstellung des Verkehrsentwicklungsplans zur Jahrtausendwende gewünscht. Doch aus den weit in die Zukunft reichenden Plänen wurde nur wenig. Und schon gar nichts Konkretes. Was das für den sogenannten Rahmenplan Mobilität 2030 bedeutet, bewertet Lars Schwarz in einem weiteren lesenswerten Beitrag.
Frustration und Stagnation – soweit nichts Neues
Das eine Stadt aus Sicht Aktiver und vor allen Dingen Fahrradbegeisterter zu wenig tut und dass das von eben denen bemängelt wird, ist sicher nichts Neues. Und ich nehme mich da auch gar nicht aus. Ich bin ungeduldig und – zugegeben – auch frustriert. Am Ende geht es, und darauf gehe ich im Gespräch mit Claudius auch ein, nicht zuletzt um politische Mehrheiten. Es gibt sicher Erfolgsfaktoren für den Radverkehr, für Mensch zentrierte und damit lebenswerte Städte. Und gleichermaßen gibt es Widerständen, Vorbehalte und ja: auch erhebliches Konfliktpotenzial. In Groningen und zum Beispiel Amsterdam, gab es in den 70gern nur sehr knappe Mehrheiten, die den Umbau zur autogerechten Stadt verhinderten oder den Weg zur Fahrradstadt ebneten. Ich habe das in den Beiträgen zu den Niederlanden aufgearbeitet. Und im Rahmen der entsprechenden Serie auch das Beispiel Utrechts dargestellt, wo andere Mehrheitsverhältnisse zu anderen Entscheidungen geführt haben, die bis zuletzt mühsam korrigiert werden mussten. Heute präsentiert sich die Stadt als Vorzeigebeispiel für Radverkehr und hohe Aufenthaltsqualität und zwar weit über die Grenzen der Niederlande hinaus.
In den Niederlanden ist in den letzten rund 50 Jahren also in die eine und in die andere Richtung, richtig was passiert. Und der Blick von hier über die Grenze lohnt sich. Nicht nur wegen der entstandenen Infrastruktur, sondern vor allen Dingen auch in Hinblick auf die Diskussionskultur und politische sowie gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
Konflikte nicht überbetonen
Ich bin besonders froh, dass es uns im Rahmen der Veranstaltung, im Gespräch und der folgenden Diskussion, gelungen ist, die Konflikte zu benennen, im Gespräch selbst aber nicht zu eskalieren. Zwischen den Verkehrsteilnehmern einer Stadt gibt es, ebenso wie in Hinblick auf Einzelhandelsinteressen oder Flächenverteilung, genug Potenzial für Auseinandersetzung. Soviel und mit so hohem „Unterhaltungswert“, dass man mit schlafwandlerischer Sicherheit damit Aufmerksamkeit erzeugen und Kontroversen befeuern kann. Weil die Konflikte so eindeutig und nachhaltig angelegt sind, braucht man sie meiner Meinung nach in der Suche nach geeigneten Lösungen nicht noch zusätzlich zu betonen. Oder anders: eine reißerische Titelzeile führt wahrscheinlich in keinem Fall zu mehr gegenseitigem Verständnis oder gar einer konstruktiven Lösung.
Wir können hier viel lernen. Und zwar das Beteiligung und Partizipation anders funktionieren müssen, als wir das aus der Vergangenheit kennen. Und das wir uns bemühen sollten, Veränderungen als Schritt zu einer möglichen Verbesserung zu sehen. Damit nicht auch die nächsten 50 Jahre so gut wie nichts passiert. Denn das können wir uns vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen nicht erlauben.