Ein Masterplan für den Radverkehr: Der Masterplan Fiets hat in den 90ger Jahren in den Niederlanden zu einem Umbruch und Umdenken geführt. Denn die Strategien der 70ger und 80ger für eine stärkere Nutzung des Fahrrades im Alltag, auf den täglichen Wegen zur Arbeit, Ausbildung, Freizeit und Erledigungen, drohten zu scheitern. Überall und auf vielen Strecken, gewann das Auto die Oberhand. Die sprichwörtliche Fahrradkultur der Niederlande, drohte im automobilen Verkehrschaos stecken zu bleiben. Ich habe mich schon früh mit dem Thema Radverkehrsförderung und entsprechenden Strategien beschäftigt. Und in diesem Zusammenhang zur Jahrtausendwende einen Beitrag zum Masterplan Fiets verfasst. Damals habe ich für ein kleines, regionales Radmagazin gearbeitet, in dem ich auch Radreiseberichte, Interviews und längere Texte zu Entwicklungen in verschiedenen Städten und Regionen veröffentlichte. Der nachfolgende Beitrag ist mit geringen Anpassungen aus der Vorlage übernommen. Es folgt also ein Beitrag von Anfang der 2000er, als der Start des Masterplan Fiets gut zehn Jahre zurück lag.
Masterplan Fiets – das Meisterstück
Was den Radverkehr angeht, wendet man den Blick gerne in die benachbarten Niederlande. Dort so scheint es hat das Fahrrad seit vielen Jahren eine hohen Stellenwert, der nicht in Frage gestellt wird. Jeder der schon einmal in den Niederlanden unterwegs war, konnte sich ein Bild von der hervorragenden Fahrrad-Infrastruktur machen. Das Fahrrad ist bei allen Bevölkerungsgruppen akzeptiert und als Alltags- sowie als Freizeitverkehrsmittel etabliert.
Was aus der Distanz, so beim Blick über die Grenze und im Vergleich zur Bundesrepublik uneingeschränkt gilt, konnte , zumindest Anfang der 90ger Jahre, die Niederländer selbst nicht ganz befriedigen: Der Anteil der zurückgelegten Strecken mit dem Auto stieg stetig, die Potenziale die der Fahrradverkehr bot, um dem drohenden Verkehrsinfarkt in den Städten zu entrinnen, wurden nicht annähernd ausgeschöpft. Seitens der niederländischen Regierung führte diese Erkenntnis zu einer breit angelegten Kampagne für das Verkehrsmittel Fahrrad, den Masterplan Fiets.
Kaum ein anderes Land wird so schnell mit dem Fahrradverkehr in Verbindung gebracht wie die Niederlande – höchstens vielleicht noch China. Die Voraussetzungen für den Radverkehr scheinen ideal: Flache Topographie, hervorragende Infrastruktur, hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Neidvoll wendet die Umweltlobby den Blick in das Beneluxland und fragt: Wie machen die das?
Warum ein Masterplan?
Warum brauchten die Niederlande dann eine nationale Initiative zur Förderung des Rades? Kriegen die denn nicht genug? Ist das überhaupt notwendig gewesen? Die Antwort lautet: Ja – sie bekommen nicht genug. Ja – es war notwendig. Anfang der 90ger Jahre machte ein nationaler Vergleich deutlich, dass das Potenzial des Drahtesels bei weitem noch nicht ausgeschöpft war. 70 Prozent der von den Niederländern zurückgelegten Wege waren kürzer als sieben Kilometer. Dem vergleichsweise hohen Radverkehrsanteil von inzwischen 27 Prozent (1) wurden weitere Wachstumspotenziale prognostiziert. Allein der Anteil der Fahrten im Berufsverkehr könnte demnach von ursprünglich 26 Prozent auf bis zu 40 Prozent gesteigert werden (2).
Auf der anderen Seite war der Trend zur verstärkten Nutzung des Autos deutlich erkennbar. Verkehrs- und Transportprobleme waren die Folge und das vor allen Dingen dort, wo der Fahrradverkehr seine Stärken hatte – in den Ballungsgebieten. Um die Chancen, die das Rad als alternatives Verkehrsmittel bot, zu nutzen, war der Masterplan Fiets absolut notwendig. Eine Erkenntnis, die auch andere Länder unter anderem auch Deutschland unter Zugzwang setzt.
Schwerpunkte des Masterplans
1990 wurde also der „Masterplan Fiets“ aufgelegt, ursprünglich auf vier Jahre begrenzt, wurde er bis 1997 verlängert. Die Initiative ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum Einen hat sich mit der Regierung eine Institution die Förderung des Rades auf die Fahnen geschrieben, die tatsächlich den geringsten direkten Einfluss auf die Entscheidungen pro oder contra Fahrrad hat. Ähnlich wie in Deutschland, können im Wesentlichen nur die Rahmenbedingungen vorgegeben werden, die Entscheidungen fallen in aller Regel vor Ort. Der Masterplan macht diese Not zur Tugend: Von Anfang an werden die wichtigen Entscheidungsträger mit einbezogen, dazu gehören neben den Verwaltungen auch die Unternehmen, die wie sich gezeigt hat einen erheblichen Beitrag zur Fahrradförderung leisten können. Ein zweiter wesentlicher Punkt hängt eng mit dieser Strategie zusammen: Der Masterplan sollte zielgerichtet und effektiv sein. Das Rad sollte nicht neu erfunden werden – es war demnach nicht Aufgabenstellung des Masterplanes den Bürgern die Vorteile des Radfahrens zu vermitteln. Die liegen auf der Hand. Vielmehr sollten neue Konzepte und Ansätze gezielt unterstützt werden, die der Erreichung der gesteckten Ziele dienten.
Diese Ziele sollten überprüfbar bleiben. Aus diesem Grund wurden fünf Schwerpunkte gesetzt und eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die den Masterplan Fiets koordinierte. Die Schwerpunkte im Einzelnen:
- Umstieg vom Auto aufs Fahrrad
- Umstieg vom Auto auf öffentlichen Verkehr
- Sicherheit für Radfahrer
- Fahrradparken und Diebstahlprävention
- Kommunikation
Kommunikation und Finanzierung
Der letzte Punkt mag verwundern, ist aber für das Gelingen des Planes unabdingbar. Da man nicht jeden Bürger direkt ansprechen konnte, wurde wie dargestellt mit Multiplikatoren gearbeitet. Um eine große Akzeptanz des Masterplanes zu fördern, war es daher notwendig über die insgesamt 112 Projekte in den acht Jahren zu berichten und so die Bürger in die Entwicklung mit einzubeziehen.
Nicht zuletzt wurde der Masterplan finanziell gefördert. Auch im Hinblick auf die abgeschätzten Aufwände bei Zunahme des motorisierten Verkehrs wurde der Fahrradverkehr entsprechend einer echten Alternative ausgestattet. Dabei darf man den Ansatz nicht dahingehend falsch interpretieren, dass die finanzielle Ausstattung des Masterplanes ausschließlich für Bauten oder Infrastruktur (z.B. Radstationen/ Fahrradwege) eingesetzt wurde. Vielmehr sollten durch das Geld, wie oben beschrieben neue Ansätze entwickelt und gezielt gefördert werden. Dabei wurden Forschung und Wissenschaft mit einbezogen. Ideen wie z.B. das Fahrradleasing für Unternehmen wurden nach erfolgreicher Markteinführung durch den Masterplan nicht mehr gefördert und das Geld an anderer Stelle für neue Projekte eingesetzt. Auf der anderen Seite wurden aber die Rahmenbedingungen für die Unternehmen durch steuerliche Vergünstigungen nachhaltig verbessert. Gerader dieser umfassende Ansatz macht den Masterplan aus.
Vorbild und Maßstab
Was für die Niederlande gilt, gilt genauso oder in leicht abgeschwächter Form für andere europäische Länder auch. Während Dänemark, Großbritannien oder die Schweiz ihrerseits die Weichen in Richtung Radverkehrsplanung gestellt haben, ist diese Initiative in Deutschland bisher ausgeblieben. Anlässlich der Aussprache im vergangenen Jahr im Bundestag waren erste zarte Ansätze erkennbar. Die Erfahrungen aus dem kleinen Nachbarland geben aber mehr her. Die Erkenntnisse der vergangenen nunmehr fast zehn Jahre nach dem Start in den Niederlanden sind wie ein Handbuch zum Nachlesen. Tatsächlich geht es jetzt nicht darum die Vorteile des Radfahrens und des Radverkehrs zu diskutieren, sondern die Hindernisse auf dem Weg zum Aufbau des Rades zur tatsächlichen Alternative zu benennen und zu beseitigen. Während Regierung und Bundestag noch an Einzelmaßnahmen feilen, haben sowohl ADFC (3), als auch VCD den „Masterplan Fiets“ auf deutsche Verhältnisse um- und fortgeschrieben. In einigen Städten, Landkreisen oder auch in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen ist ein übergreifender Ansatz bei der Radverkehrsförderung bereits verankert.
Masterplan für Deutschland
Zurück im Jahr 2022: In Deutschland löste der Masterplan die Debatte über einen „nationalen Radverkehrsplan“ aus. Verschiedene Initiativen und auch die Bundesregierung hatten erkannt, dass das was die Niederländer da vorgemacht haben richtungsweisend war. In einem weiteren Teil des Berichts über den Masterplan Fiets stellte ich damals die Initiativen in Deutschland u.a. des Verkehrsclub Deutschland (VCD) und des ADFC vor. Und im weiteren Verlauf gab es einen ersten Nationalen Radverkehrsplan, der an verschiedenen Stellen auch Früchte trug. Dass dieser Plan weit weniger Durchschlagskraft als der Masterplan in den Niederlanden hatte, zeigt die Entwicklung hierzulande. Die Frage „Wie machen die das?“ ist mit den Erfahrungen des Masterplans also nach wie vor nicht ohne Weiteres für Deutschland zu beantworten oder übertragbar.
Quellen
- „Fahrrad-Masterplan für Deutschland“, VCD 2000
- „Niedrige Steuern, Firmenräder & Co – Die Niederlande setzen im Berufsverkehr aufs Rad“, U. Lehner-Lierz, Europäischer Radfahrer Verband ECF, Schweiz
- „Nationaler Radverkehrsplan für Deutschland“, ADFC
Radserie: Niederlande erfahren
In einer aktuellen Serie, habe ich meine persönlichen Erfahrungen in Städten wie Groningen, Rotterdam und Utrecht verarbeitet. Zum Start der Serie geht es hier.