Letzte Woche im Podcast-Interview kam die Frage auf, welche Radreise mir besonders im Gedächtnis geblieben sei. Spontan würde ich sagen, dass jede Reise mit dem Rad Dein Leben verändern kann. Und man dabei sich, die anderen Reisenden und zum Beispiel auch den Menschen denen man begegnet, auf ganz besondere Art und Weise nahe kommt. Das ging mir bei meinen Reisen mit meinem Bruder, mit meinen Söhnen und auch Freunden so. Und eine Reise alleine per Rad ist irgendwie doch noch einmal etwas ganz anderes. Solo-Touren haben schon deswegen eine andere Wirkung auf die Erinnerung, weil man sie im Moment des Erlebns mit niemandem anders teilt. Das Maß an Selbstbestimmung, das auf sich selbst zurück geworfen sein, mit allem alleine klar kommen zu müssen und sich dafür entschieden zu haben, stellt eine besondere Herausforderung und auch Reiz dar. Meine erste Solo-Radreise führte mich auf Umwegen in die damalige Tschechoslowakei und dortvnach Prag. Eine bemerkenswerte Tour durch drei Länder kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Auf Umwegen, nicht auf Abwegen
Von zu Hause aus mit dem Rad zu starten, ist nach wie vor mein Favorit. Fast komplett ziel- und planlos, machte ich mich im Sommer 1992 auf den Weg nach Westen in Richtung Niederlande. Das Abitur gerade in der Tasche, wollte ich mich mit Freunden auf Texel treffen. Das Geld für den Trip, hatte ich mir mit einem Job im Fahrradladen verdient. Und ich hatte gelernt, wie weit man in Europa mit 10 oder 20 Mark am Tag kommt. Auf Touren, die mich quer durch Deutschland und zum Beispiel durch England führten. Immer mit Freunden und auf dem mit Gepäckträgern ausgestatteten Rennrad, mit dem ich auch in den Jahren auch Triathlon betrieb. Jetzt also zum ersten Mal alleine und zum ersten Mal mit dem Mountainbike. Das in diesen Jahren tatsächlich auch bei MTB-Rennen zum Einsatz kam. Mit den Freunden auf der Insel wäre ich beinahe versackt. Aber ich wollte weiter und mein Kassensturz ergab: das Geld würde für eine Tour weiter gen Westen, zum Beispiel bis nach Paris reichen. Oder sogar bis nach Prag in der anderen Richtung. Und so setzte ich mich nach ein paar Tagen zum Erstaunen meiner Mit-Camper aufs Rad und fuhr an nur einem Tag von Texel bis nach Arnheim. Einmal quer durch die Niederlande.
Im Pott und über Berge
Auf der Deutschen Seite ging das alles nicht so schnell. Ich wollte nach Köln und dort meinen Vetter auf dem Weg einen Besuch abstatten. Aber irgendwie kam ich in den Ruhrpottstädten vor lauter roten Ampeln, dichtem Verkehr und mangelnden Wegen nicht so richtig voran. Entnervt stieg ich in den Zug und fuhr die Strecke einfach mit der Bahn. Auch das irgendwie alles andere als fahrradfreundlich, am Ende aber nervenschonender als per Rad durch Duisburg und Oberhausen. Mein Vetter hatte den sonst regelmäßig leeren Kühlschrank für den jüngeren Reisenden aufgefüllt und wir hatten eine witzige Zeit bei diesem spontanen Besuch. Weil ich auch keine Landkarten dabei hatte, versorgte mich mein Cousin mit Motorradkarten für die Weiterfahrt in Richtung Osten. Das waren einfache Übersichtskarten, die vor allen Dingen auch keine Topographie enthielten. Das führte dazu, dass ich im Grunde über jeden Berg und jede Erhebung drüber gefahren bin. Weil sich mir der Sinn eines Umweges durch Täler und Strecken mit weniger Höhenunterschieden anhand der Karten nicht erschloss. Kurz vor Fulda quälte ich mich so durch die Vulkanregion Vogelsberg. In Fulda sorgte meine Unwissenheit über das was mir bevorstand für einige Erheiterung.
An der Grenze und darüber hinaus
Auf dem Campingplatz an der Fulda traf ich ein paar Radler aus meiner Heimatstadt Oldenburg, die mich lachend auf die Rhön aufmerksam machten, die am nächsten Tag auf meinem Weg lag. Man konnte die Erhebung in der anbrechenden Dunkelheit sogar sehen und ja: die Rhön war eine Herausforderung. Ebenso wie die fast sprichwörtliche Unfreundlichkeit der Einwohner auf dem Weg nach Coburg durch die Region „Haßberge“. Waren die hier so, weil der Name abgefärbt hat? Heute weiß ich, dass das Gebiet zu Franken gehört. Auch daran, dass es Dank der Kraftfahrstraßen schwierig war nach Coburg selbst zu kommen, erinnere ich mich bis heute. Viele Erinnerungen, die ich während der Solo-Fahrt nicht teilte, blieben mir tief in Erinnerung. Manche habe ich bis heute niemandem erzählt. Und weil es weder Socialmedia noch Handys gab, war ich über alle Maße auf mich gestellt. Irgendwo in Bayern nicht weit von der Landesgrenze entfernt, suchte ich eine Telefonzelle auf. Und berichtete meiner Familie wo es mich hin verschlagen hatte. Sie und auch sonst niemand hatte in den letzten Tagen von mir und meinen Plänen gehört.
Auf dem Weg zur Grenze zu diesem unbekannten Land im ehemaligen Ostblock überfiel mich eine bleierne Schwere. Was würde mich dahinter erwarten? Der Übertritt war deshalb tatsächlich eine Grenzerfahrung. Eben war ich noch stolz und unerschrocken. Stolz auf meine Selbstbestimmtheit und begeistert vom eigenen Mut bislang unbestrittene Wege zu erfahren. Und im nächsten Moment erwischte mich die Unsicherheit. Angekommen in der Tschechoslowakei dachte ich mehr als einmal daran umzukehren. Zurück auf bundesdeutschen Boden. Aber ich kehrte nicht um. Und beides – das Gefühl der Unsicherheit und jenes sich darüber hinweg zu setzen – waren wichtige Erfahrungen.
Auf Schlingerkurs
Da war ja niemand mit dem ich die Unsicherheit besprechen konnte. Niemand außer mir erlebte gerade diese Situation. Da war keiner den ich nach seinen Gefühlen fragen konnte. Und mit jeder Pedalumdrehung ging es weiter ins Landesinnere. Aus Richtung Hof kommend erreichte ich Karlsbad. Aus irgendeinem Grunde musste ich da schon regelmäßig die Speichen meines Hinterrades nachspannen. Am nächsten Tag und im weiteren Streckenverlauf bis Prag konnte ich keine 20 Kilometer am Stück fahren, ohne dass die Felge an eine oder zuletzt sogar beide Bremsklötze anschlug. Erklären konnte ich mir das zunächst nicht. Aber natürlich war das auf Dauer anstrengend und zermürbend. Und doch erreichte ich auf diese Art und Weise die Hauptstadt Prag, fand einen Campingplatz am Stadtrand und machte mich ohne Gepäck und ohne zu wissen was mich erwartet auf den Weg ins Stadtzentrum. Auch heute noch genieße ich das, was ich damals erlebte. Zu gerne besuche ich eine Stadt, ohne mich vorher darüber zu informieren, was mich dort erwartet. Die Karlsbrücke war auch damals schon ein pulsierender Touristenmagnet. Der historische Stadtkern zog mich magisch in seinen Bann. Innerhalb kürzester Zeit lernte ich andere junge Menschen kennen. Und verbrachte den Abend und den ganzen nächsten Tag in der Stadt. Es regnete, aber das störte mich nicht. Ich war am Ziel einer spannenden Reise trotz aller Widerstände und Unwägbarkeiten angekommen. Und dachte nur insofern an die Rückfahrt, als das mein Hinterrad das nicht mehr mitmachen würde.
Und dann Cloppenburg
Es stellte sich heraus – und das dauerte noch eine Weile bis ich es verstand – dass die Speichen meines Rades zwar ordnungsgemäß gekreuzt waren, aber sozusagen aneinander vorbei liefen. Oder im es weniger technisch auszudrücken: mein Hinterrad war ab Werk mangelhaft gebaut. Durch die Belastung mit Gepäck auf langer Strecke kam es zu den beschriebenen Effekten. Vor Ort in Prag wusste ich nur: ich brauche Ersatz oder eine Alternative für die Rückfahrt. Das Geld hätte auch für eine Zugfahrt gereicht, aber am zweiten Tag traf ich die Reisegruppe einer Oberstufe aus Cloppenburg. Die sprachen mit ihrem Lehrer ab, dass ich am kommenden Tag mit ihnen per Bus in den Nordwesten Deutschlands zurückfahren konnte. Es war wohl 4 Uhr oder halb fünf, als ich im Morgengrauen quer durch Prag schoss – vorbei an der Frühschicht, die and den Haltestellen wartete – um den Bus und die Schülergruppe rechtzeitig zu erreichen. Der Busfahrer des Doppeldeckers war wenig begeistert von mir und meinem Rad. Und es brauchte ein bisschen Überzeugungskraft und handwerkliches Geschick, um ihm zum zeigen dass Rad und Gepäck noch zwischen die Koffer passen. Im Grunde habe ich angefangen mein MTB zu zerlegen und die Teile zwischen die Gepäckstücke zu stecken, während wir noch verhandelten.
Auf diese Art und Weise kam ich schneller als gedacht zurück ins Oldenburger Land. Den letzten Streckenabschnitt in meinem Heimatstadt legte ich mit der Bahn zurück. Zuhause angekommen fühlte ich mich fünf Zentimeter größer als bei der Abfahrt. Ja, eine Radreise ist eine Herausforderung. Der man sich stellt und an der man wachsen kann.
30 Jahre ist meine erste Solo-Tour jetzt her. Krass. Fühlt sich an als wäre es gestern gewesen und zu einer ganz anderen Zeit. Zum oben angesprochenen Podcast geht es übrigens hier auf Spotify (oder überall, wo es Podcasts gibt). Danke Thomas für Dein Interesse. Und Euch natürlich auch und das ihr bis hierhin gelesen habt.