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Blogbeiträge / Radreisen

Rad fahren hat mein Leben verändert

Wie Rad fahren mein Leben verändert hat, habe ich schon vor einiger Zeit aufgeschrieben. Als mir bewusst wurde, wie tiefgreifend die Erfahrungen und die mit dem Erlebnis einer Radreise verbundenen Erinnerungen sind. Eine Tour, an die ich mich noch besonders lebhaft erinnere, hat dieses Jahr Jubiläum: vor 30 Jahren, 1991, sind wir mit den Rad über die Niederlande nach England gefahren. Zwei Jahre zuvor war ich mit meinem Bruder quer durch Deutschland geradelt. Von Nord nach Süd. Jetzt, gerade 18 Jahre alt, fuhren wir beide gemeinsam mit einem Freund aus dem Triathlonverein auf unseren vollbepackten Rennrädern los. Wie ungewöhnlich das damals war, wurde mir erst später bewusst. Ich glaube wir waren drei Wochen unterwegs und haben gut 2.000 Kilometer zurück gelegt. An manchen Tagen deutlich mehr, als die jeweils anvisierten 100 Kilometer und dafür waren auch ein paar Ruhetage dabei. Das Reisen mit dem Rad, hat mir damals so tiefe Eindrücke von Land und Leuten, uns Dreien als gemeinsam Reisenden und mir selbst vermittelt, dass es mir vorkommt, als seien wir vor Kurzem erst zurück gekommen. Vielleicht hat der eine oder andere Lust mit mir diese Zeitreise zu unternehmen.

Die Bilder zu diesem Artikel hat unser dritter Mann Uwe geschossen: Uwe, wenn Du das hier liest – ich hoffe es ist okay, dass ich die Bilder hier verwendet habe.

Mit dem Rennrad auf Tour

Vielleicht erschien uns damals, als noch kaum Radtouristen unterwegs waren, eine Reise per Rad so alltäglich, weil wir ohnehin die ganze Zeit auf unseren Rennrädern saßen. Das waren keine hochgezüchteten Triathlon-Räder, sondern einfache Stahlrenner, deren gemuffte Rahmen schon in den 70igern auf diese Art und Weise gebaut wurden. Im übrigen sind die Räder – zumindest weiß ich das von meinem Bruder und mir – noch heute im Einsatz. Die Söhne haben die Klassiker jeweils mit leuchtenden Augen übernommen. Immerhin fast 30 Jahre später. Ausgestattet mit einfachen Gepäckträgern und Radtaschen sowie Zelten vom Lebensmittel-Discounter (nicht vom Rad-Discounter, so etwas gab es damals noch nicht) haben wir uns auf den Weg gemacht. Und gleich ab dem ersten Ortsschild, gab es eine Sprintwertung. Wir haben uns mit den knapp 40 Kilogramm schweren Gefährten belauert wie Radrennfahrer, nur um dann mit Vollgas möglichst als erster das nächste Ortsschild zu erreichen. Später kam noch eine Bergwertung dazu. Aber dazu gleich mehr.

Rotterdam und Fähre

Wie unvorbereitet und blauäugig wir waren, zeigte sich das erste Mal im niederländischen Rotterdam. Wir hatten unser Zelt auf dem Campingplatz mitten in der Stadt und nahe des Hafens aufgeschlagen und hätten trotzdem fast unsere Fähre verpasst: wer hätte gedacht, dass es von dort über 20 Kilometer zum Anleger sind? Ob wir überhaupt irgendwas gebucht hätten, fragte man uns, als wir unsere Wunschkombination samt Überfahrt nach Irland erörterten. Mit Glück, konnten wir auf der gut gebuchten Nachtfähre nach Kingston upon Hull überhaupt noch drei Plätze ergattern. Und ich glaube, wir haben irgendwo an Deck oder auf dem Gang geschlafen. Ein Kino gab´s und wir schauten „Ein Fisch Namens Wanda“ im Original. Im Norden Englands angekommen, zog es uns nach York. Auf der linken Seite zu fahren, wurde bis zum Ende der Tour keine Paradedisziplin. Bis zum Schluss sind wir jeden Morgen nach dem Aufstehen zunächst auf der falschen Straßenseite unterwegs gewesen. Auf den ersten Kilometern jetzt, machten wir gleich Bekanntschaft mit einem „Bobby“. Der uns von dem straßenbegleitenden Fußweg auf die Straße verwies.

Regen, Regen, Regen

Ich denke heute immer noch belustigt an den Moment zurück, als wir vor einer nahenden Regenfront Unterschlupf gesucht haben. Wir fanden keinen und es war auch sinnlos. Der Regen hörte einfach nicht wieder auf. Weder an diesem Tag, noch an den folgenden. In Norddeutschland ist man es gewohnt, dass nach Regen auch irgendwann wieder die Sonne scheint. Wir haben an diesen Tagen unser Zelt im Regen aufgebaut, dann hat es die ganze Nacht geregnet und morgens haben wir alles nass in die Taschen gesteckt, sind Stunden durch den Regen gefahren und haben das feuchte Zelt im strömenden Regen wieder aufgebaut. Es wurde erst besser, als wir nördlich von Manchester Richtung Süden aus dem Wolkenband heraus gefahren sind. Die Ortsschild-Sprints behielten wir bei und da unsere Tachometer die Höchstgeschwindigkeit fest hielten (Wunder der damals modernen Technik), gab es eine neue Disziplin: wer am schnellsten den Berg runter fährt. Nach einer höllischen Abfahrt mit Trecker als Gegenverkehr, Abbruchkante an der Straße und schlotterndem Rennradrahmen (und Beinen) bin ich irgendwann aus dieser Wertung ausgestiegen. Ich habe die angezeigten 77,7 Stundenkilometer als Zeichen gewertet nicht weiter zu gehen. Ich bin danach nie schneller mit einem Rad gefahren.

Camping-Toilette auf dem Rad?

Übernachtungen waren so ein Thema für sich. Vielleicht war unsere Campingkarte auch nur sehr veraltet. Auf jeden Fall kam es dazu, dass wir unter anderem auf einer Pferderennbahn übernachteten. Als einzige, weil ein Campingbetrieb hier nur so etwas wie eine neblige Erinnerung war. Naja, und dann kam der Tag, wo wir schon 120 Kilometer auf dem Tacho hatten und sich heraus stellte, dass der angesteuerte Platz nur für Campingwagen und nicht für Zelte vorgesehen war. Der nächste Campingplatz lag 40 Kilometer entfernt, auf dem einzigen hohen Hügel in einer ansonsten mittlerweile flachen Landschaft. Oben angekommen fragende Gesichter: ob wir eine Camping-Toilette dabei hätten? Wie sich heraus stellte, gab es keine Sanitäreinrichtungen. Also mussten wir weiter. Nach über 180 Kilometern erreichten wir ein Dorf, in dem im Ortskern auf der Karte ein Campingplatz eingezeichnet war. Nur: vor Ort wusste keiner wo der sein sollte. Und dabei gab es nur zwei Straßen. Irgendwie landeten wir im „Living-Room“ eines netten älteren Pärchens. Und erst nach einiger Zeit und unter Beteiligung von Freunden und Nachbarn, ging den Einheimischen auf, dass wohl die Wiese hinterm Pub gemeint sein könnte. Der Pubbetreiber – ähnlich überrascht wie alle anderen – stimmte einer Übernachtung zu.

Begegnungen und Herausforderungen

Es sind diese Begegnungen und Erlebnisse, die ich meine wenn ich sage, dass Rad fahren mich verändert hat. Auf dem Rad bist Du ansprechbar und Du sprichst Menschen an. Du bist selbstständig unterwegs und doch auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Diese Erinnerungen haben sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben, dass ich am liebsten gleich mit diesem Paar sprechen möchte. Die wahrscheinlich schon lange tot sind, mit ihrer zugewandten und liebevollen Art und Unterstützung in meiner Erinnerung aber sehr lebendig. Es sind die Herausforderungen einer solchen Tour, die man wie in diesem Fall gemeinsam meistert. Und dabei sich selbst und auch den anderen Reisenden begegnet, sich kennen lernt. Ich habe in den Jahren danach immer wieder diese Herausforderung und das Glücksgefühl einer langen selbst bestimmten Radreise gesucht. Manches Mal alleine, so wie Jahre später als junger Familienvater auf dem Weg durch Polen, mit einem Freund durch Litauen und Lettland und immer wieder auch mit meinen Kinder. Die mittlerweile erwachsen sind und so wie zuletzt auf einer Tour nach Dänemark von sich aus auf mich zukamen, um an diese Erfahrungen anzuknüpfen.

Wir sitzen auf dem Rad. Der Asphalt zieht wie ein ruhiger Strom unter unseren Rädern entlang, während die gleichmäßige Bewegung fast hypnotisiert. Alles beruhigt sich. Es gibt nichts anderes zu denken oder zu tun, als dem Horizont entgegen zu radeln. Die Gespräche sind oft tiefgründig. Die gesungenen Lieder werden zu Hymnen. Die Landschaft fliegt vorbei und das Herz will noch lange nicht nach Hause zurückkehren. Doch wenn es soweit ist, kommt man wirklich von einer Reise zurück.