48 Jahre ist es her, dass die so genannte Ölpreiskrise im Herbst 1973 autofreie Sonntage mit sich brachte. Die Bilder der leeren Straßen an den Sonntagen vor Weihnachten des Jahres 1973, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Eben solche wirkungsmächtigen Bilder gab es auch im Frühjahr 2020, als die Corona-Krise die Welt stilllegte, Flugzeuge am Boden blieben und die Straßen und Autobahnen leer gefegt waren. Auch die Wirtschaft ging durch ein tiefes Tal und hat jetzt Nachholbedarf. Die Märkte reagieren mit stark steigenden Energiepreisen, denn das Angebot ist knapp und die so genannte Energiepreiskrise beherrscht aktuell die Nachrichten. Fast zeitgleich sehen wir Bilder aus Großbritannien, wo sich lange Schlangen vor den Tankstellen bilden und Benzin knapp ist. Auch 1973 wurde Kraftstoff rationiert, Bilder die sich wiederholen. Und wenn die Ursachen vielfältig und unterschiedlich sind: die Parallelen sind unverkennbar. Fast 50 Jahre später fragt man sich, was seither passiert ist? Denn nur ein Jahr zuvor wurden der Welt 1972 eindrucksvoll die Grenzen des Wachstums in einem gleichnamigen Buch vor Augen geführt. Heute wissen wir, dass die Klimakrise quasi unmittelbar vor der Tür steht. Wie wird die Welt unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen auf die größte Herausforderungen der Menschheitsgeschichte reagieren?
Ölpreiskrise hat „Jubiläum“
Ausgangspunkt der Krise Anfang der 70iger war der so genannte Jom-Kippur-Krieg, benannt nach dem jüdischen Feiertag, dem 6. Oktober 1973, an dem es erneut zu kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten kam. Die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) beschloss im Zusammenhang mit dem Konflikt die Fördermengen zu reduzieren, um den Westen unter Druck zu setzen. Bei gleichbleibend hoher Nachfrage, führte bereits die verhältnismäßig geringe Reduzierung von fünf Prozent zu stark steigenden Preisen. Und die Notwendigkeit Öl zu sparen, zog weitreichende Folgen für die Wirtschaft nach sich und beeinflusste auf verschiedenste Art und Weise das öffentliche Leben. Nicht nur mit autofreien Sonntagen, wie sie die sozial-liberale Regierung in Deutschland erstmals für den 25. November 1973 anordnete. Obwohl diese wohl verhältnismäßig wenig unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf der Krise hatten, dürfte die Signalwirkung und die begleitende Diskussion weit über die Bilder autofreier Landstraßen und Autobahnen hinaus gewirkt haben. Doch wer glaubte, dies sei das Ende der Konsumgesellschaft gewesen, sollte bald eines besseren belehrt werden. Auch an der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern hat sich kaum etwas geändert. Gleichzeitig fahren heute zum Beispiel auf deutschen Straßen immer mehr und immer größere Autos. Rund 50 Millionen private PKW – im Gegensatz zu etwa 13 Millionen Anfang der 70iger.
Corona-Pandemie
Vor allen Dingen die erste weltweite COVID19-Welle hat die moderne Welt fast überall zum Stillstand gebracht. Flugzeuge blieben im Zuge der Corona-Pandemie am Boden und viele Straßen frei von Autoverkehr. Grenzen wurden geschlossen, die Menschen blieben zu Hause. Mit weitreichenden Folgen nicht nur für das öffentliche Leben, sondern auch auch für die weltweite Wirtschaft. Die erholt sich jetzt, da die Krise nahezu überwunden scheint und hat dringenden Nachholbedarf. Denn die Konsumgesellschaft hat noch lange nicht ausgedient. Parallel zu den Nachrichten über steigende Energiepreise – vor allen Dingen an den Handelsplätzen – erreichen uns Nachrichten über Schiffe, die quasi im Stau stehen (viele davon weil ein einziger Frachter vor Monaten den Suez-Kanal blockiert hat) und Produktionsstätten die aufgrund von Chip-Mangel teils sogar geschlossen werden müssen. In UK prügeln sich Menschen vor Tankstellen, weil das Benzin knapp wird. Wer geglaubt hat, dass das veränderte Lebensgefühl in der Pandemie zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen könnte, ist vielleicht wiederum einem Irrtum aufgesessen. Ja, die Menschen haben mehr Zeit zu Hause verbracht, selber gekocht, sich vielleicht sogar bewusster ernährt oder regional eingekauft. Aber ist das eine Entwicklung die anhält, oder im Gegenteil zu umso stärkeren Nachholeffekten führt? Wer sicher sein will zu Weihnachten alle Geschenke zu haben, sollte der aktuellen Nachrichtenlage nach, schon jetzt einkaufen.
Energiepreiskrise: Zeitenwende?
Ich behaupte: die steigenden Energiepreise sind noch gar nicht richtig bei den Verbrauchern angekommen. Das was sich da an den Märkten abzeichnet, wird ggf. erst nach und nach bei jedem und jeder Einzelnen spürbar werden. Zur Zeit betrifft „die Preis-Rallye“ vor allen Dingen auch die Rohstoffmärkte sowie Industrie und Gewerbe. Und die teils beispiellosen Anstiege in unterschiedlichen Bereichen – Strom ebenso wie Gas und auch Kohle – sind wohl nur durch ein Aufeinandertreffen verschiedenster Effekte zu erklären (siehe dazu auch Link unten). Das ganze Energie-System ist komplex und von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Am ehesten spürbar für den Verbraucher werden Preisanstiege derzeit beim Erdöl. Und zwar durch steigende Preise an der Tankstelle und zum Beispiel für Heizöl – gerade jetzt zum Winter. Die mittel- und langfristige Entwicklung über alle Energiearten ist jedoch nur schwer vorherzusehen. Etwas, dass die Situation im Herbst 1973 durchaus vergleichbar mit der heute macht. Wer kann im Oktober oder November schon sagen wie der Winter wird und sich damit Preise und Reserven verhalten.
Gleichzeitig erkennt man aber aus den Versäumnissen und falschen Erwartungen der Vergangenheit unmittelbaren Handlungsdruck. Wir haben die letzten 50 Jahre zu nachlässig reagiert, so dass uns jetzt nur noch wenige Jahre bleiben, um die Auswirkungen des Mensch gemachten Klimawandel einzudämmen. Das sind unmittelbare Auswirkungen des starken Konsums und des insgesamt unzureichenden Ausbaus erneuerbarer Energien. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wurde eben nicht überwunden. Der aktuelle Zwischenbericht des Weltklimarats IPCC führt uns allen unmissverständlich und eindeutig vor Augen, was jetzt schnellstmöglich getan werden muss.
Ich hätte in diesem Beitrag gerne die Chancen beschrieben, die im Wandel stecken. Für lebenswerte Städte, weniger Autoverkehr, mehr Nachhaltigkeit und geringere Emissionen. Diese Chancen sind zweifellos gegeben, so wie sie auch in den Krisen Anfang der 70iger und zuletzt in der Pandemie angelegt waren. Diese Krisen sind aber vielleicht keine hinreichenden Katalysatoren für eine nachhaltige Veränderung oder zumindest nicht überall auf der Welt. Schwerer wiegt, dass uns zur Bewältigung der echten Krise kaum noch Zeit bleibt. Das heißt wir müssen sie jetzt anpacken. Und anpacken bedeutet kurioserweise etwas zu verändern. Ganz konkret und im Alltag – zum Beispiel mit dem Rad zu fahren anstatt auf die große technische Innovation und neue Antriebe zu setzen. Das eigene Konsumverhalten zu ändern und gute Gewohnheiten aus den letzten Monaten beizubehalten und zum Beispiel lokal einzukaufen. Und darüber hinaus auch die Politik zu fordern, die sich verpflichtet hat das 1,5 Grad-Ziel, wie in Paris vereinbart, einzuhalten.
Ich bin kein Energiemarkt-Experte und die hohe Komplexität der Materie schreckt viele Menschen ab. Wir alle wünschen uns einfache Lösungen und die gibt es in einer stark vernetzten, globalisierten Welt nicht. Wer sich intensiver mit den aktuellen Entwicklungen, ihren Auswirkungen und Ursachen beschäftigen möchte, dem empfehle ich den Beitrag im Energy BrainBlog.