Als ich mich in den vergangenen Monaten mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschäftigt habe, bin ich in Gedanken auch immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten zurück gegangen. Und habe mich gefragt: was hätte ich persönlich anders machen können?Versteht mich nicht falsch, ich will mich nich frei sprechen. Mir ging es vielmehr darum zu verstehen, auf welche Faktoren wir als einzelne Menschen wirklich Einfluss nehmen können. Insbesondere die Lektüre des Buches von Michael Mann, in dem er unter dem Titel „The New Climate War“ (Deutscher Titel: Propandaschlacht ums Klima“) auf diesen Komplex eingeht, hat mir bei der Reflexion geholfen. Er schildert eindrücklich vor dem Hintergrund seiner eigenen (Lebens-)Erfahrung die kommunikativen Fallen des Eindrucks: wir können als Individuen durch unsere Entscheidungen und unser Verhalten die großen Probleme der Welt lösen. Aber kommt es wirklich nur auf uns als Einzelne/n an? Also können wir die Wende schaffen, wenn nur jeder und jede Einzelne die richtigen Entscheidungen trifft?
Das große Ganze
Seit Montag ist klar: das Jahr 2030 und die Zeit bis dahin, sind so etwas wie ein Schicksalsjahre. Die Klimaforschung ist sich sicher: 2030 könnten bereits 1,5 Grad globale Mitteltemperatur erreicht werden. Das ambitionierte Pariser Klimaziel würde damit noch einmal 10 Jahre früher gerissen als bislang prognostiziert. Mir macht das Bauchschmerzen. Um das zu verhindern, müssen jetzt alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. In den kommenden vier Jahren, um genau zu sein.
Wie lange sind wir auf diese Situation zugesteuert? Nunja, die wesentlichen Grundlagen dieser Entwicklung konnte man augenscheinlich bereits Anfang der 70iger Jahre voraus berechnen. Damals dachte man noch in Kategorien wie Umweltverschmutzung und – schutz, aber die Grundzüge des Klimawandels und dessen Auswirkungen, waren auch damals schon greifbar. Round about 50 Jahre also, die auch Michael Mann in seinem Buch näher betrachtet. Jahre, in denen der CO2-Gehalt in der Luft stetig angestiegen ist (rote Linie in der Graphik). Und zwar von 326 ppm 1970 auf über über 410 ppm (2019). Zum Vergleich: 1860 waren es es noch 280 ppm. Der steile Anstieg erfolgte nach den 2. Weltkrieg und setzte sich seit den 70iger Jahren bis heute fort.
Was wir im Kleinen tun
Wenn uns die Gefahren, die der Mensch gemachte Klimawandel und die steigende CO2-Konzentration bewusst gewesen wären – hätten wir dann als Einzelne und als Gesellschaft andere Entscheidungen getroffen? Hätten wir zum Beispiel weniger statt mehr Autos auf unseren Straßen fahren (und stehen) lassen? Die zweite Linie in der Graphik zeigt die zugelassenen Fahrzeuge in Deutschland: 1970 knapp 14 Millionen PKW und 2020 sage und schreibe mehr als 47,7 Millionen. Wenn wir die Gefahren also wahrgenommen haben, dann war es uns als Gesellschaft egal. Oder der Einzelne, hat die Zusammenhänge nicht erkannt oder erkennen wollen. Fakt ist: ich kann ein gutes Stück weit entscheiden, welches Fahrzeug ich nutze, wie groß es ist, oder wie effizient und welche Alternativen ich wann nutze. Aber ich kann das nur für mich alleine entscheiden. Auf die großen gesellschaftlichen Entwicklungen kann ich nur mittelbar Einfluss nehmen.
Bei mir zu Hause
Auf das was ich in meiner Wohnung, meinem Haus oder Garten mache, habe ich maximalen Einfluss. Es gibt auch hier Regeln – die sind aber deutlich weniger restriktiv, als im öffentlichen Raum. Wo ich einen Baum pflanze oder wie ich meine Möbel verrücke, interessiert kaum jemanden. Wo an der Straße ein Baum gepflanzt wird, oder wie der Straßenraum gestaltet wird – ich glaube, es wird klar worauf ich hinaus will. Natürlich kann ich darauf Einfluss nehmen. Aber nur über Umwege. Ich kann mich ehrenamtlich engagieren, Anträge stellen, lokalpolitisch Einfluss nehmen, einem geeigneten Verein beitreten. Aber das alles ist natürlich deutlich begrenzt. Auf das Verhalten anderer oder auch auf deren Werte und Einstellungen kann auch einwirken. Ich kann mich vorbildlich verhalten, Aktionen starten die zur Teilnahme anregen. Der eine oder andere verdreht vielleicht schon die Augen und möchte gedanklich an den Anfang des Absatzes und damit in die eigenen vier Wände zurückkehren. Woher also kommt die Idee, dass wir mit unserem Verhalten große Veränderungen – also zum Beispiel auch größere gesellschaftliche Veränderungen – anstoßen könnten?
Die Greta-Frage
Ich habe in den letzten Jahren viele persönliche Interviews geführt. In diesem Zusammenhang stellte ich den Menschen auch immer wieder die Frage, wie sie ihren Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen einschätzen. Die Antworten haben sich im Laufe der Jahre verändert. Der Grund dafür ist Greta Thunberg, die den Menschen auf dieser Welt vor Augen geführt hat, was eine Einzelne oder ein Einzelner erreichen kann. Vielen fiel genau dieses Beispiel ein, während vorher der persönliche Einfluss bei diesen Befragungen fast durchgehend als gering bewertet wurde.
Die Liste der Dinge, auf die wir tatsächlich kaum Einfluss nehmen können ist lang. Soziale Ungleichheit, nahezu alle Politikfelder, aber auch Fragen der Infrastruktur gehören dazu. Natürlich können wir gegen den Bau einer Autobahn demonstrieren, wir können versuchen soziale Ungleichheit durch persönliches Engagement auszugleichen oder uns politisch engagieren. Wenn ich eins davon intensiv betreibe, bleibt für alles andere kaum Zeit. Allein deswegen, ist mein persönlicher Einfluss insgesamt deutlich begrenzt.
Ein weiterer Bereich, der sich fast vollständig unserem Einfluss entzieht, ist das Konsumangebot. Wir können viel oder wenig kaufen, aber wie viel oder wenig es gibt und wie es produziert wird? Nunja, anscheinend ist das ja der große Schlüssel. Zumindest wird das immer wieder behauptet, dass unsere Konsumentscheidungen erheblichen Einfluss auf fast alles in der Welt haben. Aber kann das sein? Ich glaube eher nicht.
Der Elephant im Raum
Ich bediene mich bei Michael Mann: Waffen erschiessen keine Menschen. Und doch hängt es an der Verfügbarkeit von Waffen in privatem Besitz, ob viele Menschen durch Schusswaffen sterben. Menschen entscheiden sich fürs Rauchen und sterben daran. Irgendwie ist der einzelne Mensch daran schon selber Schuld; aber ebenso wie bei zuckerhaltigen Getränken auch die Industrie, die das Zeug unters Volk bringt. Dass wir die großen Zusammenhänge auf dieser Welt durch unser Verhalten, durch unseren persönlichen Einfluss entscheidend verändern können, ist eine grobe Verzerrung. Ja, es kommt auf jeden Menschen und seine Entscheidungen an. Aber die großen Veränderungen müssen wir als Menschheit in unserer Gesamtheit anstoßen und sie einfordern. Wenn es zum Problem wird, dass die Atmosphäre weitestgehend kostenlos als Müllkippe für schädliche Gase genutzt wird, müssen wir das abstellen. Durch Gesetze, Regulation, am Ende vielleicht und am besten sogar durch einen Preis.