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Blogbeiträge / Buchprojekt

Fahrradtag und -initative

Als ich in den letzte Tagen unterwegs war, um die Idee eines Rad-Cafés mit Leben zu füllen, fing die Story oft wie folgt an: ich will ein Rad-Café eröffnen, dabei habe ich selbst kein Interesse Räder zu verkaufen und meinen Kaffee trinke ich persönlich schwarz. Und trotzdem – oder gerade deswegen – möchte ich die losen Enden zusammen binden, Möglichkeiten zum Treffen und zum Austausch schaffen und mich mit anderen Aktiven vernetzen. Und da ist er wieder, dachte ich unvermittelt. Derjenige, den ich selbst suchen würde, wenn ich an einem Ort eine Idee umsetzen und die Kräfte dort aktivieren wollte. Jemanden, der aus sich heraus – intrinsisch – motiviert ist, mit Menschen spricht, Verbindungen schafft und Möglichkeiten eröffnet. So wie damals, als ich die Idee hatte, einen Fahrradtag ins Leben zu rufen. Vielleicht ist das Rad-Café das letzte Kapitel in meinem Buch, für das ich auch schon über diese Initiative zu einen Fahrradtag geschrieben habe. Es folgt ein etwas längerer Text – der Entwurf eines Kapitels aus dem Buch – in dem ich auf die Hintergründe und Zusammenhänge eingehe.

Ein Fahrradtag

Manchmal ist es gut und einfach, das nahe liegende zu tun. Wir alle nehmen nur in begrenztem Maß unmittelbar Einfluss auf unsere Umwelt – also im gestalterischen Sinne. Und häufig genug, stoßen wir dabei an ganz banale und unmittelbare Grenzen. Wenn ich in meinem Garten einen Baum pflanze, unterliege ich in den meisten Fällen wenigen Beschränkungen. Wenn ich im öffentlichen Raum einen Baum pflanzen will, gelten da schon andere Regeln. Da gibt es Zuständigkeiten, Abstimmungsbedarf und sogar Verbote. Das kann man gut oder schlecht finden, schränkt dennoch so oder so den eigenen unmittelbaren Handlungsrahmen ein. 

Und natürlich gibt es Dinge die man tun kann und manchmal ist der einfachste Weg zu Veränderungen, genau die Wege zu beschreiten, die einem am leichtesten erscheinen. In meinem Fall war es die Organisation eines Fahrradtages. Ich hatte einfach über die Jahre so viele Kontakte und Ideen gesammelt, hatte Veranstaltungen besucht und Initiativen beobachtet, dass es mir leicht fiel, die einzelnen Akteure anzusprechen und zusammen zu bringen. Und im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus viel mehr, als ich jemals erwartet hatte. Der Anlass war im Grunde banal und dann habe ich rund 10 Jahre jährlich einen Fahrradtag initiiert.

Kleinstadt Frühlingsfest

Ich lebe in einer ländlichen Kleinstadt im Norden Deutschlands, unmittelbar an der Küste. Es gibt eine Fußgängerzone und eine Reihe von Veranstaltungen im Verlaufe des Jahres, die die Einwohner und regionales Publikum ins Stadtzentrum locken. Volks- und Erntefeste im Herbst, immer mal wieder ein Stadtfest im Sommer und auch ein Frühlingsfest um die Osterzeit. Und so lange ich hier wohne, erinnere ich mich daran, dass es anlässlich dieser Veranstaltung eine so genannte „Autoschau“ gibt. Eine Veranstaltung wie man sie auch aus den umliegenden Orten kennt und in deren Rahmen vor allen Dingen die örtlichen Fahrzeughändler ihre Ausstellungsbereiche in die Innenstadt verlegen und zu einem weiteren großen Parkplatz – allerdings mit Neuwagen – umfunktionieren. Ich mache keinen Hehl daraus, dass diese Veranstaltung mich zu keinem Zeitpunkt begeistert hat. Aber sie hat mich auch nicht im eigentlichen Sinne gestört. Ich fand sie nur seltsam leblos. Denn trotz aller Bemühungen: die Lebendigkeit, Abwechslung, Bewegung und Begeisterung von Fahrradveranstaltungen die ich bis dahin schon kennen gelernt hatte, gibt es auf so einer Autoschau nicht. Das ist alles sehr statisch. Mag an den Autos liegen. 

Damals habe ich mir darüber weniger Gedanken gemacht, als im vorherigen Absatz stehen. Die Autoschau an sich und die Lust das Netzwerk zu nutzen und etwas anderes auf die Beine zu stellen, führten zum ersten Fahrradtag anlässlich des Frühlingsfestes. Dabei waren neben örtlichen Fahrradhändlern auch überregionale Anbieter, Nahverkehrs- und Tourismusunternehmen, Privatleute – einfach alles was man sich so rund ums Rad vorstellen kann. Die Entscheidung für eine Durchführung im Rahmen des Frühlingsfestes war auch eine sehr rationale: die Innenstadt mit den angrenzenden Bereichen war ohnehin für den Verkehr gesperrt. Es war leicht eine Genehmigung zur Nutzung einer weiteren Straße zu bekommen. Die Händler in diesem Bereich freuten sich, dass mit dem Fahrradtag auch ihre Geschäfte in das Geschehen eingebunden waren und nicht zuletzt, brauchte man sich um Besucher keine Sorgen zu machen: die waren ja schon da. Und die Rechnung ging vom ersten Moment an auf. Die bunte Mischung unterschiedlicher Angebote lockte viele Besucher in die Straße, die als Veranstaltungsgelände diente. Die Aussteller organisierten Auf- und Abbau weitestgehend selbst und durch den Einsatz von Pavillons und Infoständen sah die Straße auch ganz ohne Besucher schon einladend aus. Das Spektrum der Interessierten reichte von Familien und Kindern über Jugendliche bis zu Erwachsenen unterschiedlichen Alters. Es gab einen Fahrradflohmarkt, Einradfahrer eines örtlichen Vereins, Liegeradfahrer die aus dem nahe gelegenen Oldenburg kamen (und dann regelmäßig ihre Frühjahrstour von rund 30 Kilometern in die Kleinstadt Varel unternahmen) – alles Menschen und Aktionen, die aus eigenem Antrieb die Veranstaltung zu dem machten, was sie am Ende war. Ein bunter Mix interessierter und engagierter Leute, die den ganzen Tag die Straße mit Leben, Bewegung und Gesprächen zu einem lebendigen Raum machten. 

Während einige wenige Meter weiter Autos auf der Straße standen zwischen denen einzelne Menschen entlang schlenderten, von oben in ein exklusives Cabriolet schauten oder Türen öffneten um sich ins Fahrzeug zu setzen. Mir ging es bei der Veranstaltung nie um ein Gegeneinander. Die gravierenden Unterschiede ergaben sich ganz von alleine. 

Initiative mit geringen Mitteln

Was ich an dieser Stelle deutlich machen möchte: man muss nicht immer viel Geld investieren oder Agenturen beauftragen, um Veranstaltungen rund ums Rad auf die Beine zu stellen. In Oldenburg scheiterten viele Anläufe zu einer Fahrradveranstaltung an veranschlagten Budgets von mehreren zehntausend Euro – für die es dann keine Freigabe vom Stadtrat gab. Auch wurde die damalige Fußgänger- und Fahrradbeauftragte der Stadt mit der Durchführung einer Veranstaltung auf einer der größten Kreuzungen Oldenburgs beauftragt. Und die hat man nicht etwa zu diesem Zweck gesperrt, sondern ganz bewusst den Autoverkehr auf mehrspurigen, sich kreuzenden Straßen als Teil der Veranstaltung gewertet – kein Witz. 

Nicht überall finden sich Aktive, Händler oder Vereine – wie der ADFC und die Lokale AGENDA, die in Varel den Fahrradtag von Anfang an begleitet haben. Aber es gibt für jeden diesen Weg des geringen Widerstands und die Möglichkeit etwas auf die Beine zu stellen. Und dann kann das vielleicht der Anfang von etwas längerfristigem oder sogar dynamischem sein. So wie in unserer Kleinstadt Varel.

Zum 10. Fahrradtag gab es nicht nur ein Bilkepolo-Turnier, sondern Frank Patitz (Retrovelo) war auch mit seinem Soundbike aus Leipzig angereist und hat aufgelegt.

Ich bin der, den ich selbst suchen würde

Wenn man heute von Placemaking oder Tactical Urbanism spricht, gehört die Einbeziehung der Anwohner und Nutzer einer Straße ganz selbstverständlich dazu. Wen treffen wir regelmäßig auf dieser Straße, in dieser Nachbarschaft oder diesem Ortsteil an? Häufig handelt sich bei diesen Betrachtungen um kleinräumige Gebiete – einen Straßenabschnitt, eine Straße oder eben ein Platz oder Areal. Hier leben Menschen, manchmal arbeiten hier auch Leute oder verbringen ihre Freizeit, Mittagspause oder ähnliches hier. Vielleicht sind sie Kunden eines in der Nähe liegenden Geschäfts, oder sie nutzen die Straße um von A nach B zu kommen. Mit dem Rad, dem Auto oder zu Fuß und auf dem Weg zur Bahn. So oder so lohnt es sich zu Beginn einer Betrachtung oder auch im weiteren Verlauf eines Projekts die Menschen unmittelbar zu befragen. Und zwar zu ihren Wünschen, ihren Eindrücken, dem Zweck ihres Weges, Aufenthalts oder einfach auch nach ihrer Meinung. Wie finden sie diesen Straßenbereich? Wirkt er einladend auf sie? Was könnte man verbessern, was fehlt Ihnen? 

Häufig findet man einen oder mehrere Ansprechpartner, die sich in besonderem Maße hervortun. Oder man erhält Hinweise darauf, wer sich engagiert oder Ideen hat. Das kann ein Geschäftstreibender sein, oder auch ein Anwohner. Die Highlane in New York City ist ein eindrucksvolles Beispiel für Menschen, die es lohnt zu suchen. Die ehemalige Hochbahnstrecke und deren Umgebung lag jahrzehntelang brach, bevor zwei langjährige Anwohner ihre lange gereifte Idee der Umgestaltung vorantrieben. Neben solchen eindrucksvollen und prägnanten Beispielen, gibt es eine Reihe fast unspektakulärer Erfolgsgeschichten, wo es auf das Engagement einzelner oder weniger Menschen ankommt. Die Veränderungen müssen gar nicht riesig sein, um zu signifikanten Effekten zu führen. Und zum Beispiel die Perspektive auf eine Nutzung oder die sich ergebenden Möglichkeiten zu verändern. Gerade wenn die Veränderungen kurzfristig umgesetzt werden können und zunächst nicht auf Dauer angelegt sind, ist die Kommunikation, die Idee dahinter und die soziale Komponente oft viel wichtiger. Das kann ein temporärer Basketballplatz mit Containern oder ähnlichem sein, die Nutzung eines leer stehenden Ladens für eine Beschäftigungsprojekt oder eben eine Aktion an einem oder mehreren Tagen. So wie ein Fahrradtag, ein Straßenfest, eine Tauschbörse oder ein Begegnungsfest mit Ständen der Anwohner, Musik und Vorführungen. Oder zum Beispiel ein Rad-Café.

Die Menschen, die man sucht sind die die Ideen haben und vielleicht noch keinen Anlass oder Gelegenheit zur Umsetzung gefunden haben. Es sind die Menschen, die Spaß daran habe etwas neues auszuprobieren ohne gleich an die Zukunft und die dauerhafte Umsetzung denken zu müssen. 

Einragdfahrer, Tanzgruppen zum Soundbike von Retrovelo – es bewegt sich viel rund ums Rad, wenn man etwas bewegt

Fahrrad im Mittelpunkt

Für mich persönlich, waren die Veranstaltungen rund ums Rad vor allen Dingen wegen der Erlebnisse und Begegnungen schön und die persönlichen Anstrengungen gerechtfertigt. Und zwar nicht nur wegen meine eigener Begegnungen, sondern auch wegen dem was ich im Verlaufe der jeweiligen Tage beobachten konnte. Neben Fahrradtagen, haben wir später auch Zweirad-Oldtimer Treffen organisiert. Und immer wieder trafen hier wie dort, ganz unterschiedliche Menschen aufeinander und es passierten kleinere und größere Begebenheiten. Jeder Tag bekam so trotz aller Wiederholungen eine eigene Geschichte. Genau genommen, war es sogar gut und richtig, jedes Jahr aufs Neue an derselben Stelle zusammen zu kommen. Damit stand der Rahmen fest und Vieles konnte sich in diesem temporären Begegnungsraum abspielen. Kern der Veranstaltungen waren ja die eigenen Motivationen der Teilnehmer. Das waren keine Messen oder Verkaufsveranstaltungen, sondern Thementage rund ums Rad. Selbst die Händler sind ja in aller Regel Einzelunternehmer mit einem ganz eigenen Bezug zum Thema Fahrrad.

Neben „Tech-Talk“, gab es viele anregende Gespräche über Reisen und auch persönliche Entwicklung. Auf der Straße wurde gemalt und geradelt, ausprobiert und geredet. All dies Aspekte, habe ich ganz häufig nur am Rande beobachtet, mich gefreut und vielleicht später davon erzählt. Das eben sie der Kern des ganzen sein könnten, habe ich mit meinem rational geprägten Wesen zu diesem Zeitpunkt nur unzureichend verstanden. Heute würde ich ganz konkret nach diesen Zusammenhängen suchen und versuchen, Menschen wie mich und viele der intrinsisch motivierten Teilnehmer zu finden. Menschen, die aus einem starken inneren Antrieb heraus etwas entwickeln oder umsetzen. Die den Weg des geringsten Widerstands suchen, anstatt tausend Gründe zu finden, etwas nicht zu tun. Wenn wir heute Beteiligungsprojekte durchführen und Partizipation ermöglichen wollen, sind es genau diese Faktoren, die zu einer starken Beschleunigung führen können: hohe persönliche Motivation, positive Emotionen – Begeisterungsfähigkeit – und die Möglichkeit, dass sich unterschiedlichste Parteien selbstbestimmt einbringen können. Die theoretischen Grundlagen werden schon erschlossen und obwohl die Umsetzung so einfach scheint ist es so, so schwer tatsächlich etwas anzustoßen und die Entwicklung zu beobachten. Das liegt vor allen Dingen auch an der Multidimensionalität und der hohen Komplexität des Gesamtsystems.

Fahrradtag wird -initiative, wird -Café

Aus dem Fahrradtag wurde eine Fahrradinitiative. Das hatte viel damit zu tun, dass die Auftaktveranstaltung so erfolgversprechend verlaufen war und das es beim örtlichen ADFC und der lokalen AGENDA jeweils mindestens eine bzw. einen weiteren, engagierten Akteur gab. Hinzu kam, dass zu diesem Zeitpunkt das so genannte Verkehrsmodell der Stadt behandelt wurde. Zu den konkreten Hintergründen gibt’s an anderer Stelle mehr. Wichtig erscheint hier: es gab eine Art Momentum. Ausreichend, um die initiale und ernsthafte Schritte in Richtung Radverkehrskonzept zu unternehmen. Und so kam es zu Abstimmungen mit der Stadt, an die auch die Lokale AGENDA organisatorisch angeschlossen war und zwar mit der Verwaltung und später auch mit der Politik. Heute, Jahre später, wird dieser Ball wieder aufgenommen.

Wenn ich also heute durch das Viertel in Oldenburg zwischen Bahnhof und Hafen streife, sich meine Gedanken an die alte Tankstelle heften und ich überlege wen ich dort kenne – dabei feststelle, dass ich Fotografen, Reisebürobetreiber, Café-Besitzer, Unternehmer und Anwohner kenne und mit meiner Idee begeistern und zusammen bringen kann – gleichzeitig neue Kontakte knüpfe, Optionen erkenne und ausgrabe, wo vorher keine zu sein schienen – dann mache ich genau das, was ich eigentlich immer schon getan habe.

Mehr zum Thema Radverkehr in Varel, gibt es in einer kleinen Serie hier auf dem Blog – die hier beginnt.