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Blogbeiträge

Lernen „ja“ zu sagen: ich mache eine Kreuzfahrt

Entwicklung beginnt vielleicht erst jenseits dessen, was wir uns vorstellen können. Manchmal ist es notwendig die Grenze der eigenen Identifikation hinter sich zu lassen, über den „eigenen Schatten zu springen“, in sich hinein zu spüren und doch „ja“ zu sagen, nachdem man es schon kategorisch ausgeschlossen hat. So oder so ähnlich, geht es mir mit unserer anstehenden Kreuzfahrt. Sie scheint allem zu widersprechen, was mich ausmacht. Und ich merke das nicht nur an mir selbst, sondern auch an den Reaktionen von außen: „Das hätte ich nie von Dir gedacht“, ist eine der regelmäßigen Reaktionen. Und ich hätte es von mir am allerwenigsten erwartet. Und darum war es mir zwischenzeitlich schon fast unangenehm. Aber das muss es nicht. Es ist meine Entscheidung. Und sie führt mich nicht nur an die Grenzen meiner Identifikation und eigenen Wertvorstellungen, sondern sie führt mich darüber hinaus. Und das ist gut so. 

Ich wollte das nicht und doch will ich es jetzt

Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben und in mich hinein gespürt: eine Kreuztahrt, mehrere Tage mit vielen Menschen auf einem Schiff. Ohne Einfluss auf den Tagesablauf, mit eingeschränkter Selbstbestimmung und Aktionsradius. An Land ausgespuckt mit denselben tausenden von Touristen. Häufig homogene Gruppen von Deutschen oder Amerikanern, alle genauso wenige oder viele Möglichkeiten bei der individuellen Planung wie ich selbst. Zeitkorsett, Vollpension, Animation. Es wollte mir einfach nicht gelingen, mich in diese Situation hinein zu versetzen und ein gutes Gefühl dabei zu haben. Und jetzt geht es bald los. 

Stelle Dir diese eine Frage

Die Entscheidung fiel innerhalb weniger Augenblicke. Sie entsprang einem großen Ruhebedürfnis und der einfachen Frage, die ich seit einigen Jahren zum Maßstab meines Handelns mache: was, wenn innerhalb kurzer Zeit alles anders wäre, Tod oder schwere Erkrankung das Leben verändern? Würdest Du der Gelegenheit dies oder jenes tun zu können, hinterher trauern? Und in diesem Fall, war die Antwort – trotz alle innerer Widerstände – eindeutig. Ja, ich würde die Zeit zurück drehen und mit meiner Freundin eine Karibik-Kreuzfahrt unternehmen wollen. Gegenprobe: würdest Du ansonsten jemals in die Karibik fahren? Nein. Würdest Du sonst irgendwo eine Kreuzfahrt unternehmen wollen? Nein, siehe oben: ich will eigentlich keine Kreuzfahrt machen. 

Nächstes Mal geht´s dann wieder in den Bauwagen an den Dangaster Salzwiesen

Nachhaltigkeit sieht anders aus

Als im Oktober des letzten Jahres der Sommer „in Verlängerung“ ging und wir an der Ostsee waren, habe ich von den ambivalenten Gefühlen auch vor dem Hintergrund der (jeweils) aktuellen Berichterstattung berichtet. 27 Grad im Herbst sind nicht normal, der Klimawandel ist keine Theorie. Er ist bittere Realität und nun fliege ich über den Atlantik, um mit einem Riesenpott kleine, arme Inseln anzusteuern. Auch das kann ich schlecht mit meinem Gewissen vereinbaren, ebenso wie die Flüge der letzten Jahre. Davor war ich 40 Jahre nahezu gar nicht geflogen. Aber die Antwort auf die Frage im vorherigen Absatz, führt mich derzeit immer wieder in diese Situation. Ich möchte mich ökologisch und umweltbewusst verhalten. Und ich möchte nicht zurück blicken und mir Zwänge auferlegt haben. Ich wollte New York sehen und San Francisco erleben. Ist das legitim? Ich denke ja.

Das ist paradox, ich halte es aus

Genauso wenig wie viele andere, bin ich in der Lage das Dilemma für mich aufzulösen. Vielleicht hört das irgendwann wieder auf, oder ich stelle meine Art zu Reisen um. Und schaue dann zurück und sage: da gab es ein paar Jahre, da bin ich wirklich viel geflogen. Wenn ich mir dann in Zukunft diese eine Frage stelle, führt die Antwort nicht zu einer weiteren Flugreise oder gar Kreuzfahrt. Bis dahin werde beim Überschreiten meiner eigenen Grenzen mit dieser Ambivalenz leben müssen. Nicht mehr und nicht weniger