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Blogbeiträge

Gastbeitrag: Kolumne Laura Rojas

Im Rahmen meiner Recherchen für das Buch Life Cycle, habe ich Laura Rojas aus Bogota kennen gelernt und vor genau vier Jahren sie und ihre Arbeit hier vorgestellt. Mittlerweile lebt die Architektin und Stadtplanerin in Mexico und ist dort weiter mit ihrer Unternehmung Bicistema aktiv. Wir waren über die Jahre immer wieder in einem persönlichen und fachlichen Austausch und ich freue mich, dass sie jetzt auch angefangen hat zu schreiben: eine eigene Kolumne im Magazin MetrópoliMid, für das Stadtgebiet Merida in Mexiko. „Und du hast definitiv den Grundstein dafür gelegt.“ schreibt Laura – denn über ihre Arbeit und Erfahrungen zu schreiben, fiel der engagierten Südamerikanerin zunächst alles andere als leicht, wie sie sagte. „Als ich vor einigen Monaten in Frankreich Rad gefahren bin, wurde mir bewusst, wie viel ich über das Radfahren in Städten gelernt habe, und dann hat mich MetrópoliMid – noch bevor ich meine Reise beendet hatte – dazu eingeladen. Und ich habe zugesagt, denn jetzt weiß ich, worüber ich schreiben möchte.“ Aus diesem Grund freue ich mich besonders, dass ich den Auftakt ihrer Kolumne hier als Gastbeitrag veröffentlichen darf.

Laura Viviana Roja Reyes ist Architektin (Abschluss an der Piloto University of Colombia) und hat einen Master of Science in Urban Studies (Abschluss an der Polytechnischen Universität Madrid) mit Schwerpunkt auf urbaner Mobilität und Radverkehr. Sie ist Gründerin und Leiterin von Bicistema Arquitectura y Urbanismo, einem Unternehmen, das sich der Planung und Ausführung nachhaltiger Projekte widmet, die aktive Mobilität und die Verbesserung öffentlicher Räume in Lateinamerika fördern.

Zu Fuß und per Rad in Städten

Herzliche Grüße an alle Leserinnen und Leser dieser Kolumne. Zunächst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diesen ersten Beitrag als Kolumnistin zu lesen. Ich verdanke dies der freundlichen Einladung meiner Kolleginnen und Kollegen von MetrópoliMid und ihrem gesamten Team. Und allen, die mich gerade erst entdecken, danke ich für Ihre Zeit. Mein Name ist Laura Rojas Reyes, ich bin Kolumbianerin und lebe in Mexiko. Ich bin die Älteste von drei Schwestern und nun auch frischgebackene Tante. Von Beruf bin ich Stadtplanerin und im Herzen begeisterte Radfahrerin. Heute möchte ich diese und die folgenden Kolumnen aus meiner persönlichen Perspektive als Frau und als Expertin mit einem Thema beginnen, das uns alle betrifft, die wir in Städten leben und verschiedene Verkehrsmittel nutzen: öffentlicher Raum und aktive Mobilität. Vor Kurzem habe ich einige Monate in Frankreich verbracht, um meine Nichte zu besuchen und meine Schwester bei der Geburt ihres Kindes zu unterstützen. Wie so oft in meinem Leben nutzte ich mein Fahrrad, um in Straßburg, einer Stadt im Elsass westlich des Rheins, der natürlichen Grenze zu Deutschland, unterwegs zu sein. Die gesamte Stadt, ihr Umland und die Satellitenstädte sind durch ein umfassendes Radwegenetz verbunden, das sicheres Radfahren fördert. Radfahren dort erinnerte mich an Amsterdam: durchgehende Radwege, ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Stadt und ein öffentliches Verkehrsnetz aus Zügen, Straßenbahnen und Bussen, das sich nahtlos in den Radverkehr integriert und sogar gefahrloses Radfahren nach Deutschland ermöglicht. Ein Großteil der Bevölkerung nutzt öffentliche Verkehrsmittel, andere fahren Auto, aber was mich besonders beeindruckte, war die große Anzahl an Radfahrern. Senioren, Frauen und Männer mit Kindern jeden Alters auf den unterschiedlichsten Fahrrädern (mit Kindersitzen, Lastenrädern, Spezialrädern) und sogar mit ihren Haustieren; Studenten auf dem Weg zur Uni und Pendler auf dem Rad. Kein Wunder: Straßburg ist die fahrradfreundlichste Stadt Frankreichs – dank ihrer Infrastruktur, ihrer Kultur und ihrer Verkehrssicherheitserziehung, die aktiver Mobilität Priorität einräumen.

Bei jedem Besuch in Europa erlebe ich denselben Kulturschock. Beim Überqueren einer Straße ist mein erster Impuls, stehen zu bleiben und zu warten, bis die Autos vorbeigefahren sind, selbst wenn eine Ampel oder ein Zebrastreifen vorhanden ist. Zu meiner angenehmen Überraschung entdeckte ich eine andere Art des Gehens und Radfahrens, bei der die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer oberste Priorität hat. Ich erlebte dies zum ersten Mal in Madrid während meines Masterstudiums im Jahr 2015, als die Stadt begann, ihr öffentliches Fahrradnetz in eines der fortschrittlichsten öffentlichen Verkehrssysteme der Welt zu integrieren.

Der Kontrast zu Lateinamerika ist unübersehbar. Zurück in Mexiko-Stadt spüre ich beim Radfahren wieder diese ständige Wachsamkeit. Es geht nicht nur um die Infrastruktur, sondern auch um Verhaltensweisen, Emotionen und die Art, wie wir uns im Straßenverkehr bewegen. In Bogotá lernte ich, mit klopfendem Herzen zwischen Bussen, Taxis und Autos zu radeln und verstand schon früh, wie wichtig es ist, das Radfahren in der Stadt als ebenso unverzichtbares Verkehrsmittel wie jedes andere zu fördern.

Internationaler Vergleich mit Europa

Warum fällt es lateinamerikanischen Regierungen so schwer, aktiver Mobilität Priorität einzuräumen? Reden werden gehalten: Pläne für nachhaltige Mobilität, Reisen von Beamten in europäische Städte, internationale Foren mit europäischen Experten zu diesem Thema. Doch die Straßen erzählen eine andere Geschichte: Gehwege in schlechtem Zustand, unzusammenhängende Radwege, hochgefährliche Kreuzungen und ein von Autos dominierter Verkehr. Der Widerspruch ist eklatant, und obwohl es in Lateinamerika einige Erfolgsgeschichten gibt, herrscht in den meisten unserer Städte, während wir auf dem Papier über Verkehrssicherheit, das Recht auf die Stadt und inklusiven Verkehr sprechen, in der Praxis weiterhin Gewalt im Alltag: Raser und aggressive Autofahrer, Radfahrer, die Taxifahrer konfrontieren und anschreien, Busse, die um Platz kämpfen, Fußgänger, die an jeder Ecke um ihr Leben rennen und obendrein von wütenden Autofahrern beschimpft werden. Die Straße, die der demokratischste Raum sein sollte, wird zum Schlachtfeld, nicht zum Ort der Freude. Diese unausgesprochene Gewalt, die der Mobilität innewohnt, ist nicht nur ein technisches Problem, sondern ein kulturelles Spiegelbild. Über aktive Mobilität (also die Fortbewegung aus eigener Kraft) zu sprechen, bedeutet, über Gesundheit, Gemeinschaft, Luftqualität und das Leben selbst zu sprechen. Es geht darum, wie wir miteinander und mit dem öffentlichen Raum umgehen. In diesem ersten Teil möchte ich einfach die Frage aufwerfen. In den folgenden Kolumnen werde ich darüber nachdenken, wie wir uns fühlen, wenn wir uns in unseren Städten bewegen, welche Emotionen das Gehen und Radfahren in einer oft als feindselig empfundenen urbanen Umgebung hervorruft und welche Lehren wir aus unseren täglichen Herausforderungen ziehen können. Denn letztendlich geht es bei aktiver Mobilität um die Möglichkeit, in menschlicheren Städten zu leben.

Hier gibt´s Infos zu Lauras Unternehmung Bicistema

Regelmäßig, könnt ihr Lauras Kolumne hier im Magazin MetropoliMid verfolgen.

English version

While researching for my book Life Cycle, I met Laura Rojas from Bogota and introduced her and her work here exactly four years ago. The architect and urban planner now lives in Mexico, where she continues to run her company Bicistema. Over the years, we have remained in personal and professional contact, and I am delighted that she has now also started writing her own column in MetrópoliMid magazine, which covers the urban area of Merida in Mexico. ‘And you definitely laid the foundation for this,’ writes Laura – because writing about her work and experiences was anything but easy for the committed South American at first, as she said. For this reason, I am particularly pleased to be able to publish the first instalment of her column here as a guest contribution.

Laura Viviana Roja Reyes is an architect (graduated from Piloto University of Colombia) and holds a Master of Science in Urban Studies (graduated from the Polytechnic University of Madrid) with a focus on urban mobility and cycling. She is the founder and director of Bicistema Arquitectura y Urbanismo, a company dedicated to the planning and execution of sustainable projects that promote active mobility and the improvement of public spaces in Latin America.

Warm greetings to all readers of this column. First of all, I would like to thank you for taking the time to read my first column. I owe this to the kind invitation from my colleagues at MetrópoliMid and their entire team. And to those of you who are just discovering me, thank you for your time. My name is Laura Rojas Reyes, I am Colombian and I live in Mexico. I am the eldest of three sisters and now also a new aunt. I am an urban planner by profession and an enthusiastic cyclist at heart. Today, I would like to begin this and subsequent columns from my personal perspective as a woman and an expert with a topic that affects all of us who live in cities and use various modes of transport: public space and active mobility. I recently spent a few months in France visiting my niece and supporting my sister during the birth of her child. As so often in my life, I used my bicycle to get around Strasbourg, a city in Alsace west of the Rhine, the natural border with Germany. The entire city, its surrounding area and satellite towns are connected by an extensive network of cycle paths that promotes safe cycling. Cycling there reminded me of Amsterdam: continuous cycle paths, a strong sense of responsibility towards the city and a public transport network of trains, trams and buses that integrates seamlessly with cycling and even allows safe cycling to Germany. Most of the population uses public transport, others drive cars, but what particularly impressed me was the large number of cyclists. Senior citizens, women and men with children of all ages on a wide variety of bicycles (with child seats, cargo bikes, special bikes) and even with their pets; students on their way to university and commuters on their bikes. No wonder: Strasbourg is the most bicycle-friendly city in France – thanks to its infrastructure, its culture and its road safety education, which prioritises active mobility.

Most of the population uses public transport, others drive cars, but what particularly impressed me was the large number of cyclists. Senior citizens, women and men with children of all ages on a wide variety of bicycles (with child seats, cargo bikes, special bikes) and even with their pets; students on their way to university and commuters on their bikes. No wonder: Strasbourg is the most bicycle-friendly city in France – thanks to its infrastructure, its culture and its road safety education, which prioritise active mobility.

Every time I visit Europe, I experience the same culture shock. When crossing a road, my first impulse is to stop and wait until the cars have passed, even if there is a traffic light or a zebra crossing. To my pleasant surprise, I discovered a different way of walking and cycling, where the safety of other road users is a top priority. I first experienced this in Madrid during my master’s degree in 2015, when the city began integrating its public bicycle network into one of the most advanced public transport systems in the world.

The contrast with Latin America is striking. Back in Mexico City, I feel that constant vigilance again when cycling. It’s not just about infrastructure, but also about behaviour, emotions and the way we move around in traffic. In Bogotá, I learned to cycle between buses, taxis and cars with my heart pounding, and I understood early on how important it is to promote cycling in the city as an indispensable means of transport just like any other.

Why is it so difficult for Latin American governments to prioritise active mobility? Speeches are made: plans for sustainable mobility, trips by officials to European cities, international forums with European experts on the subject. But the streets tell a different story: pavements in poor condition, disjointed cycle paths, highly dangerous intersections and car-dominated traffic. The contradiction is striking, and although there are some success stories in Latin America, in most of our cities, while we talk on paper about road safety, the right to the city and inclusive transport, in practice violence continues to be part of everyday life: speeding and aggressive drivers, cyclists confronting and shouting at taxi drivers, buses fighting for space, pedestrians running for their lives at every corner and, on top of that, being verbally abused by angry motorists. The street, which should be the most democratic space, becomes a battlefield, not a place of joy.

This unspoken violence inherent in mobility is not just a technical problem, but a cultural reflection. Talking about active mobility (i.e. getting around under your own steam) means talking about health, community, air quality and life itself. It’s about how we interact with each other and with public space. In this first part, I simply want to raise the question. In the following columns, I will reflect on how we feel when we move around our cities, what emotions walking and cycling evoke in an urban environment that is often perceived as hostile, and what lessons we can learn from our daily challenges. Ultimately, active mobility is about the possibility of living in more humane cities.