Der aktuelle Bericht des Weltklimarates, kann einem schon Bauchschmerzen bereiten. Und zwar nicht so im übertragenen Sinne, sondern wirklich und tatsächlich. Mir ging und geht das so. Die Pressekonferenz des IPCC* am gestrigen Tage, habe ich nebenbei live auf Youtube laufen lassen. Ich habe zwischendurch während der Arbeit drauf geschaut, da waren es rund 7.500 Zuschauer. Dabei wurde über nicht weniger als das Schicksal der Menschheit gesprochen. 1,5 Grad globale Mitteltemperatur sind bis 2030 möglich. Zehn Jahre früher als zuletzt prognostiziert. Vier Jahre bleiben uns noch, um das Steuer herum zu reißen. Kein vielleicht, keine Konjunktive. Der Mensch hat den Klimawandel zu verantworten, sagen die Wissenschaftler des IPCC. Und auch die aktuellen Unwetter, Hitzewellen, Feuersbrünste und Eisschmelzen, werden durch den menschgemachten Klimawandel verstärkt. Diese Phänomene werden häufiger und stärker. Da darf man schon einmal Kopf- und Bauchschmerzen bekommen. Es darf einem richtig gehend übel werden bei dem Gedanken daran, was uns bevorsteht und wie sehr wir selbst es vergurkt haben.
Klimawandel: so vorhersehbar
2008 hatte ich die Möglichkeit an der UN-Klimakonferenz in Posen teilzunehmen. Das war ein eindrucksvolles Ereignis mit begleitender Ausstellung und Side-Events. Al Gore hat vor tausenden Menschen gesprochen und sich bei Obama bedient, als er sagte „Yes we can!“ Und meinte damit den erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel. Sigmar Gabriel, damals Bundesumweltminister, bin ich förmlich in die Arme gelaufen.
Am eindrucksvollsten jedoch, war eine Session der Niederländer. Die in rund 90 Minuten hergeleitet haben, dass sie mit Wasser von allen Seiten rechnen müssen: das Land liegt in weitern Teilen tiefer als der Meeresspiegel, schon damals ging man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von mehr und stärkeren Regenfällen aus und auch die Unterläufe der Flüsse bargen schon aus damaliger Sicht Havariepotenzial. Die fast nüchterne Betrachtung der Niederländer damals: sie haben errechnet, was sie die Anpassung an den Klimawandel und der Umgang mit den Schäden kosten wird. Und haben einen entsprechend hochgerechneten anteiligen Posten im Haushalt dauerhaft eingeplant, um u.a. in Forschung und zum Beispiel schwimmende Siedlungen zu investieren.
Wieder zu Hause, luden wir Ottmar Edenhofer zur Jahresversammlung unseres Regionalverbundes ein und er sprach vor Vertretern der regionalen Wirtschaft. Die Aussagen damals klangen in meinen Ohren schon so klar und eindringlich wie heute die der Wissenschaftler. Ja, da waren noch ein paar rhetorische Einschränkungen und aus heutiger Sicht würde ich sagen, keiner der Beteiligten wollte sich den Vorwurf des Alarmismus machen lassen. Aber klar, im Sinne von wissenschaftlich untermauert, waren die Aussagen auch in den 2000er Jahren schon.
Klimafolgenanpassung
Ich kann diesen persönlichen Rückblick ohne lange nachzudenken fortsetzen. Denn auch in der Niedersächsischen Regierungskommission zum Thema Klimaschutz, herrschte große Einigkeit über das was kommt. Ich durfte auch diese Arbeit unterstützen und lernte bald, dass Wärme ebenso wie Regen oder Trockenheit, insbesondere in Deutschland, zunehmen würden. Es vielmehr um die Anpassung an den Klimawandel gehen würde, als um die Frage ob Klimaschutz notwendig sei. Nur auf der Handlungsebene ist eben zu wenig passiert. Und während ich 2012 noch Teil der Jury für einen kommunalen Klimaschutzwettbewerb war, wurde es zunehmend seltsamer, das Klima-Thema hochzuhalten. Ich kam mir ehrlich gesagt wie ein etwas trotteliger Spinner vor, der Klimaschutz wie ein abgedroschenes Buzz-Word vor sich her trug. CO2, was sollte das für ein komischer Maßstab sein? Wo man doch auch Energieeinsparung und -effizienz beziffern konnte. Und so kam es, dass das Thema Klima irgendwie aus der Mode kam. Welch kapitaler Fehler.
Das Meer vor der Haustür
Ich bin Wasserbauingenieur und weiß, was es bedeutet Deiche zu planen, zu bauen und zu unterhalten. Und wie wenig theoretisch die Gefahr eines Deichbruchs ist. Wir sind so begeistert, von unserer scheinbaren technischen Überlegenheit, dass wir uns immer wieder erstaunt die Augen reiben, wenn ein Fluss über die Ufer tritt, oder unkontrollierbaren Katastrophen förmlich über uns hereinbrechen. Wenn der Meeresspiegel weiter steigt und es hier zum Deichbruch kommt, steht das Wasser sprichwörtlich vor meiner Haustür. Und bis vor die Tore der über 30 Kilometer entfernten Stadt Oldenburg. Es ist nur menschlich, sich mit solchen Szenarien nicht tagtäglich zu beschäftigen. Aber Bauchschmerzen scheinen mir vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und Nachrichten zum Klimawandel, eine mehr als natürliche körperliche Reaktion. Weglaufen macht ja wenig Sinn, ebenso wenig wie den Kopf in den Sand zu stecken.
Angst, Wut und Verzweiflung
Nachdem ich meine Gedanken auf Socialmedia zu den Entwicklungen des gestrigen Tages geteilt hatte, erreichten mich zahlreiche Nachrichten. Ein Kollegen rief mich sogar an und redete einfach darauf los. Die Reaktionen reichten von Verständnis über Bitterkeit bis hin zu Verzweiflung. Die Fragen, die über allem stehen sind: wie konnte es soweit kommen? Wie sollen wir damit umgehen, was soll werden? Und auch Einschätzungen wie: daran wird sich nichts mehr ändern lassen. Ich konnte auch tatsächlich schlecht schlafen und das drückenden Gefühl im Bauch kommt wieder, wenn ich an das Thema denke. Aber jetzt nichts zu tun, wäre zu kurzsichtig und auch fatal. Wir können etwas tun. Auch das ist die eindeutige, unmissverständliche Nachricht der Wissenschaft. Das Zeitfenster ist klein, es schließt sich bald. Nicht zehn Jahre oder gar bis 2045. In den nächsten vier Jahren muss etwas passieren. Und ich könnte mir nicht verzeihen, wenn wir diese Chance verstreichen lassen würden. Die Zeit zu handeln, Forderungen an die Politik zu richten, im Freundeskreis zu diskutieren, sich einem Verein, einer Initiative anzuschließen ist jetzt. Die Fridays For Future Bewegung hat viele solcher Zusammenschlüssen bevor gebracht: die Scientist, Parents oder Engineers For Future. Hier oben bei uns, ist es Friesland Zero, die etwas bewegen. Zuletzt eine Klimatour, demnächst ein Klimastreik – am 10. September in Jever.
Bauchschmerzen sind mehr als angebracht. Aber das darf uns nicht vom Handeln abhalten.
Die Gedanken haben mich auch in den folgenden Tagen nicht los gelassen.
Lesetipp: Michael E. Mann, hat in seinem aktuellen Buch die gefährlichen Fallen der Kommunikation rund um den Klimawandel entschlüsselt und warnt eindringlich davor, jetzt klein bei zu geben. Weitere Bücher findest Du hier.
*(engl.: Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC)