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Blogbeiträge

Fahrradstraße: Beteiligung leicht gemacht

Beteiligung, Partizipation und Akzeptanz sind neben Fahrrädern, Radverkehr und -kultur, meine Lieblingsthemen. Als ich jetzt im Rahmen einer Beiratstätigkeit von den Planungen für eine Fahrradstraße in unserer Kleinstadt erfuhr, konnte ich mich mit einem Kommentar nicht zurückhalten. „Es wäre gut, wenn jemand mit den Menschen vor Ort sprechen würde, um ein Stimmungsbild zu bekommen.“ Es war gar nicht meine Absicht diese Gespräche selbst zu führen. Weil die Idee aber gut ankam und sonst niemand – weder Verwaltung noch Ingenieurbüro – Kapazitäten für solche Gespräche hatte, habe ich schlicht „ja“ gesagt, als die Gegenfrage kam, ob ich das dann machen würde. Zum Ende des letzten Jahres, habe ich mir dann den offiziellen „Auftrag“ vom zuständigen Ausschuss abgeholt, dem ich auch jetzt die Ergebnisse vorgestellt habe. Was ich und wir genau gemacht haben und was dabei herausgekommen ist, beschreibe ich hier. Quasi als Bericht aus der Werkstatt.

Varels erste Fahrradstraße

Die Idee für eine Fahrradstraße ist nicht neu. Grundsätzlich nicht und auch nicht in Varel. Straßen zu Fahrradstraßen zu machen, war bereits Bestandteil eines ersten, ehrenamtlich erarbeiteten Konzepts das 2007 vorgelegt wurde. Dieses Konzept und die darin enthaltenen Ideen, wurden zur Grundlage für eine Neuauflage, die jetzt in die Umsetzung geht. Mit Hauptrouten, Detailplanungen und Prioritäten – vor allen Dingen aber mit breitem politischem Konsens. Das durfte ich in der entsprechenden Ausschusssitzung des Stadtrats Ende 2024 erfahren, bei der durch verschiedene Wortmeldungen der neue Stellenwert der Radverkehrsförderung aus Sicht der Politiker unterstrichen wurde. Mir gefallen die Planungen auch deswegen, weil sie durchaus ambitioniert sind und zum Beispiel auch den Radfahrenden Vorrang an besonderen Knotenpunkten einräumen. Über die Planungen mit den Menschen zu sprechen, die Auswirkungen, das Für und Wider zu erörtern, erscheint mir nur fair. Dabei geht es aus meiner Sicht, und auch aus Sicht der Stadtverwaltung und Politik, nicht darum das „Ob“ zu besprechen, aber schon ein Stimmungsbild zum „Wie“ einzuholen.

Gespräche übern Gartenzaun

Als der Beschluss zu dieser Art der Beteiligung gefasst wird, ist es zu kalt um die Menschen auf der Straße und im Garten anzutreffen. Außerdem erleben wir bald darauf einen Winterwahlkampf und insgesamt unruhige Zeiten. Keine guten Voraussetzungen für entspannte Gespräche. Ich nutze die Zeit für erste, noch eher sondierende Kontaktaufnahmen zu mir bekannten Menschen in der Straße. Ein Nachbar aus der Straße, bietet sich als Mittler an. Er meint, unter den gegebenen Umständen erscheine es hilfreich einen Handzettel zu entwickeln und ich denke gleich auch an eine Landingpage – eine Webseite mit den wichtigsten Infos zum Vorhaben. Als das alles steht und auch Urlaube und private Baustellen abgeschlossen sind, ist das Wetter besser und es geht alles sehr schnell.

Unabhängig voneinander führen wir Gespräche in der Straße. Der eine als bekannter Nachbar und Anwohner mit Handzettel und QR-Code zur Webseite im Gepäck. Der andere mit dem Ziel zufällige Straßeninterviews zu führen. Weil das Wetter jetzt tatsächlich hervorragend ist, gelingt dies ohne Weiteres an verschiedenen Wochentagen und mit unterschiedlichsten Menschen beim buchstäblichen „Schnack übern Gartenzaun“. Die Gespräche sind durchweg freundlich und sehr konstruktiv. Keiner macht auch nur den Anschein, dass ihm bzw. ihr die Kontaktaufnahme unangenehm wäre und man lieber nicht in ein Gespräch verwickelt werden möchte, Ähnlich positiv verlaufen wohl auch die Gespräche des aktivierten Nachbarn. So dass binnen kurzer Frist (im Grunde innerhalb einer Woche) knapp 40 aussagekräftige Kontakte entstehen. Schnell zeichnet sich ein recht eindeutiges Stimmungsbild ab. Dazu gleich mehr.

Picknick – Anlässe schaffen

Eher zufällig fällt der Umsetzungszeitraum jetzt mit einem geplanten Fahrradpicknick zusammen. Hatten wir zuvor die Idee, an einem neutralen Ort in der Stadt zusammen zu kommen, bietet sich jetzt das private Umfeld in lockerer, frühlingshafter Atmosphäre an. Die Tageszeitung, die schon den Auftrag des Ausschusses und die Planungen positiv begleitet hat, berichtet anlassbezogen. Denn die Gespräche laufen ja gerade und das Fahrradpicknick ist auch Teil der Stadtradel-Aktion. Die Pläne, die auf der Webseite vielleicht nur mit Mühe in Hinblick auf Details der Gestaltung zu erkennen sind, werden großformatig ausgedruckt und an den Flügeln der Außentüren aufgehängt. Es entsteht ein einladender Eindruck, auch für die Besucher die sich explizit für die Planungen interessieren: wir haben buchstäblich die Türen geöffnet und freundlich eingeladen.

Und die Menschen sind gekommen. Insbesondere in Verbindung mit der Presseberichterstattung kommen jetzt die Anwohnenden der betreffenden Straße zu mir als „ortsfremden“ Kommunikator (im südlichen Ortsteil). Jetzt, so zeigt sich bald, kommen auch die, die sich schlecht informiert fühlen oder auch grundsätzliche Bedenken zum Vorgehen und vielleicht auch zu den Planungen selbst haben. Das sei ja alles sehr kurzfristig und undurchsichtig, lauten manche Äußerungen. Ich selbst bin ja nicht verantwortlich für die Planungen oder das Verfahren, im konkreten Fall lediglich Gastgeber einer privaten Veranstaltung. Ich stehe, so gut ich kann, Rede und Antwort. Gerade wenn viel los ist – und es kommen ganze Familien und Nachbarn zusammen – ziehe ich mich auch gerne zurück. Und überlasse die Diskutierenden sich selbst. Auch weil ich merke, dass das Gespräch untereinander zu Erkenntnissgewinn und Selbstregulation führt. Mehr als einmal kommen die Anwohnenden der zukünftigen Fahrradstraße auch mit anderen Gästen ins Gespräch, die vielleicht eine Perspektive aus einer anderen Stadt mitbringen.

Ergebnis der Beteiligung

Erstaunlicherweise, zeichnete sich schon früh ein ziemlich klares Bild ab. In Summe hatten wir jetzt mit unterschiedlichen Ansprechpartnern rund 60 Kontakte zu Anwohnerinnen und Anwohnern der Straße oder zumindest aus dem Quartier (also den anliegenden Straßen). Die Verteilung von Männern und Frauen dürfte bei rund 50/50 liegen (gerade bei den nachbarschaftlichen Besuchen sind konkreter Inhalt, Alter, Geschlecht usw. nicht im Detail bekannt) und das Altersspektrum war breit (Mitte 20 bis ins hohe Rentenalter). Die Planungen für eine Fahrradstraße werden weit überwiegend positiv gesehen oder auch explizit begrüßt. Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass der derzeitige Zustand oft als nicht haltbar gesehen wird. Und mit der Veränderung eine Verbesserung auf verschiedenen Ebenen erwartet wird. Neben der Parksituation, wird vor allen Dingen das Verhalten der Autofahrenden bemängelt. Fast im gleichen Atemzug wird die Situation für Kinder in der Straße genannt. Die sich nicht ohne Weiteres sicher zum Spielen aufhalten oder auch auf alltäglichen Wegen (zum Beispiel auch zur Schule) bewegen können. Aus den Gesprächen ergeben sich zudem Ansätze für eine differenzierte Betrachtung. Zum Beispiel in Hinblick auf eine zukünftige Verteilung der Parkplätze, die Zuwegung über die Nachbarstraßen, Beschilderung sowie weiterführende Vorschläge (zum Beispiel Einbahnstraßenregelungen). Stimmen der Anwohnerinnen und Anwohner:

„Gruselig ist das hier und es tut mir vor allen Dingen für die Kinder leid“

„Habe kein Problem damit, finde ich sogar gut“

„Finde ich super, tolle Idee“

Mit der öffentlichen Berichterstattung und in der Folge auch dem Treffen anlässlich des Picknicks kamen wie gesagt auch kritische Töne an die Oberfläche. Es kamen dann sogar Nachrichten auf Socialmedia und per Brief in der Post. Dabei geäußerte Bedenken betrafen nicht nur das Vorgehen und könnten dahingehend interpretiert werden, das man sich schlecht informiert fühlt (oder auch „alles sehr kurzfristig“). Sondern waren auch allgemeiner Natur oder auf Unkenntnis der Zusammenhänge oder der konkreten Planung zurückzuführen. Weder Art und Weise der geäußerten Kritik, noch die Unkenntnis sollen die ggf. berichtigten inhaltlichen Punkte schmälern. Sie stellten aber nach jetzigen Stand eine Minderheit dar. Und lassen sich oft auch sachlich ausräumen.

Fazit und Übertragbarkeit

Die Umsetzung des Radverkehrskonzepts steht in Varel erst am Anfang. Menschen bei Vorhaben einzubinden, die sie unmittelbar betreffen, erscheint sinnvoll und ist nach den aktuellen Erfahrungen auch machbar. Persönliche Gespräche sind – egal ob auf nachbarschaftlicher Ebene, oder durch einen unbeteiligten Dritten, der weder für die Planung selbst oder das Verfahren verantwortlich zeichnet – anerkannt und werden positiv aufgenommen.

Dabei sollte vor allen Dingen auf Empfang gestellt werden: Anregungen aufnehmen, Fragen stellen, das Gesagte nicht bewerten, ggf. Hinweise geben. Auch das Einbinden von Anwohnenden selbst hat sich hier als Erfolgsfaktor und Beschleuniger erwiesen. Für die Kommunikation, sollten die Fachplanungen entsprechend aufbereitet werden und leicht verständlich verfügbar sein. Mit dem Infoblatt und der Webseite wurden in diesem Fall wichtige Vorlagen auch für die Zukunft entwickelt. Eine gute öffentliche Berichterstattung ist wichtig und niederschwellige Angebote zur unkomplizierten Begegnung – hier am Beispiel des Picknicks – bringen Vorteile mit sich. Dies alles insgesamt, ließe sich – ähnlich wie aus den Niederlanden bekannt und erfolgreich umgesetzt – institutionalisieren. Interessierte aus dem Ort könnten entsprechend in einem Netzwerk qualifiziert werden und bei anstehenden Planungen eingesetzt werden, um selbst mit Anwohnerinnen und Anwohnern zu sprechen oder Nachbar:innen als Multiplikatoren zu gewinnen.

Webseite der Stadt mit Planungs-Infos

Beispiel Beteiligung Niederlande