Eine Radreise ist eine echte Herausforderung. Sie kann uns an persönliche Grenzen führen und die Beteiligten zusammen schweißen. Selbst dann, wenn sie bereits vorher eng miteinander verbunden waren. So ging es mir einst mit meinem eigenen Bruder und später auch mit meinen Söhnen. Rad fahren kann Dein Leben verändern. Ich habe Martina auf dem ersten Barcamp in Dangast kennen gelernt und unsere Tour rund um Ostfriesland hat sie im Jahr darauf inspiriert. So sehr, dass sie sich im gleichen Jahr mit ihrer Schwester Sophie selbst auf den Weg gemacht hat. Die beiden Schwestern haben sich entschlossen die gemeinsame Reise einem guten Zweck zu widmen. Und begegneten auf dieser Reise Menschen, Herausforderungen und sich selbst. Ich habe Martina gebeten die Geschichte ihrer Reise aufzuschreiben und freue mich, dass ich sie hier als Gastbeitrag veröffentlichen darf.
Gastbeitrag Martina Rohn
Martina Rohn hat sich auf den Weg gemacht – gemeinsam mit ihrer Schwester Sophie. „Eine Radreise für den guten Zweck. Aufmerksam machen auf Krebserkrankungen und die möglichen Behandlungsmethoden, Awareness schaffen, mit Menschen ins Gespräch kommen, Spenden sammeln (für die Gesellschaft für biologische Krebsabwehr) – das war das Ziel unserer Geschwister-Radtour. Entstanden aus einer spontanen Idee. Für Sophie und mich war es die erste Tour dieser Art.“
>>Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe<< – Pippi Langstrumpf
Also Räder gepackt und ab dafür.
Unser erstes Mal
Unsere Abfahrt war am 4.9.2018 in Heidelberg, unser erster Stopp am Riedsee nach etwa 65 km. An einem ruhigen Campingplatz mit Badesee feierten wir unseren erfolgreichen Start. Es war die Zeit, in der wir schüchtern erste Insta-Stories filmten und löschten, und wieder filmten…bis schließlich ein Schnipsel dabei war, der es wert war, hochgeladen zu werden. Der Start in den neuen Tag begann mit Kaffee und mit einem Bad im See.
Dann am Rhein und seinen Altarmen entlang Richtung Mainz. Unterwegs brutzelte die Sonne bereits so sehr, dass wir dann doch nochmal anhielten, um uns mit Sonnencreme einzudecken. Die haben wir nämlich vergessen. Überhaupt könnte man sagen, wir sind ein wenig blauäugig losgefahren. Wir hatten nicht mal Reifen-Flickzeug dabei. Das einzige Werkzeug in meiner Packtasche waren 2 Inbusschlüssel und eine Tüte Kabelbinder. In Mainz angekommen führte uns unser Weg über die Mainspitze. Bei all den Radwegen und Brücken müssen wir wohl ein wenig orientierungslos ausgesehen haben, denn ein freundlicher älterer Herr auf einem Elektro-Shopper kam mit uns ins Gespräch. Kurze Zeit später saßen wir mit ihm an der Mainspitze und erzählten von unserer Tour und unserem Anliegen. Noch interessanter war aber, was er zu erzählen hatte. Kurz vor unserem Treffen hatte er eine OP gehabt, ganz bedrückt erzählte er, dass er seither nicht mehr Fahrrad fahren könne und die Fahrradausflüge mit seiner Frau vorerst auch ausgesetzt waren. Mit einem Schmunzeln ergänzte er anschließend aber all die komfortablen Vorteile, die ihm sein elektrisches Gefährt nun böte.
Begegnungen und Erfahrungen
Nach dieser großartigen Begegnung war unser nächstes Ziel die Wohnung von Bekannten in Mainz, um unsere Stromvorräte wieder aufzuladen und die Wasserflaschen zu füllen. Den Strom jedenfalls hatten wir bitter nötig, denn etwa drei Kilometer vor dem Ziel, mitten in der Mainzer Innenstadt waren die Akkus sämtlicher Navigationsgeräte leer. Also wirklich leer. Und das Fahrtenbuch über den Rheinradweg konnte uns da auch nur wenig helfen, denn eine Karte der Innenstadt ist nicht Teil des Kartenmaterials. Das Verkehrsaufkommen wurde größer, die Verwirrung auch und der Umgangston zwischen uns beiden ruppiger. Die Nerven lagen also blank. Irgendwie – ich weiß heute gar nicht mehr wie eigentlich – schafften wir es, die Wohnung unserer Bekannten zu finden. Ab da war die Welt dann wieder in Ordnung. Frisch gestärkt und mit Strom versorgt standen uns nun noch 20 schöne Kilometer bis zum Etappenziel nach Rüdesheim bevor. Entlang am Rhein, vorbei an Weinständen und Menschen, die nach Feierabend am Rheinufer flanierten. Das Ende des Tages war wohl eines unserer Highlights. Wir konnten einen Zeltplatz mit Blick auf den Rhein ergattern und flanierten zum Abendessen selbst noch ins schöne Rüdesheim. Selbst der dicke Regenschauer während der Nacht konnte uns nicht aus der Ruhe bringen. Zelt und Laune blieben standhaft.
Bis an die eigene Grenze
Auch der darauffolgende Tag startete mit Kaffee in der Morgensonne. Und einer Schiffsfahrt über den Rhein. Von Bingen aus ging es dann rechtsrheinisch durch das obere Mittelrheintal. Zwar wurden wir von schönstem Sonnenschein begleitet, jedoch hatten wir die Talwinde unterschätzt, die heute leider nicht auf unserer Seite waren. So mussten wir mehr strampeln als die Tage zuvor und hatten doch das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Unsere Mittagspause verbrachten wir demnach bereits in St. Goar am Rhein. Unser Tagesziel war anschließend nach nur 55 km Boppard.
Auch am nächsten Tag sollte der Rhein weiter unser Wegweiser sein, bis wir Köln erreichen würden. 110 Kilometer bringen wir heute hinter uns, fahren durchs schöne Koblenz, verlassen das obere Mittelrheintal und freuen uns über den fehlenden Gegenwind. Wir sind so begeistert, dass alles so gut klappt, dass wir von einem mentalen Rückenwind richtig zehren können. Die Stimmung wird ausgelassener. 10 Kilometer vor dem Ziel verlässt mich jedoch die Kraft. Ein Rewe in der Nähe ist die herbeigewünschte Kohlenhydrate-Tankstelle. Allerdings muss ich mein Rad über die Rodenkirchener Brücke in Köln schieben, da ich sonst müde vom Rad gefallen wäre. Auf dem städtischen Campingplatz in Köln angekommen, treffen wir andere Radler, die eine Tour von Ost nach West machen, um auf die Wichtigkeit von Mental Health hinzuweisen.
Die Etappe bis Düsseldorf am folgenden Tag fahren wir noch mit dem Rad, bis wir uns aus Zeitgründen entscheiden, von Düsseldorf bis Gladbeck (Heimatstadt unserer Mutter) mit dem Regionalzug zu fahren. Das Wiedersehen mit der Verwandtschaft war eine große Freude. Es wurde viel geredet und gegessen und wir kamen mal wieder in den Genuss einer festen Behausung und eines richtigen Badezimmers.
Planänderung und weiter machen
Bevor wir die Tour Richtung Nordsee fortsetzen konnten, sind wir beide jedoch krank geworden. Zwar nichts ernsteres, aber uns hatte es so aus den Latschen gehauen, dass wir uns nicht in der Lage sahen, weiterzufahren. Da uns nach der Genesung die Zeit allerdings zu knapp wurde, haben wir schweren Herzens beschlossen, die zweite Etappe der Fahrradtour zu einem anderen Zeitpunkt nachzuholen. Wir beide haben die eine oder andere Träne verdrückt, als wir uns eingestehen mussten, dass nicht immer alles nach Plan läuft. Aber auch, dass es kein Drama ist, Projekte zu unterbrechen oder zu pausieren, wenn die Rahmenbedingungen dafür aktuell nicht stimmen.
Ich habe mich einige Tage später dennoch auf den Weg nach Dangast gemacht, allerdings wieder mit dem Zug. Denn der ursprüngliche Plan war, auf dem Barcamp in Dangast von unserer Unternehmung zu berichten. Gesagt getan, also habe ich so gut es ging, vom ersten Teil berichtet. Von den glücklichen Momenten und auch den kleinen und großen Pannen unterwegs. Einen platten Reifen hatten wir jedoch nie.
Die Zeit beim Barcamp war inspirierend und motivierend, weiter an dieser Sache zu arbeiten, eines Tages wieder loszufahren. Vor allem der Support von Frank hat mich ermutigt, nach vorne zu schauen und weiterzumachen.
„Kurze“ Unterbrechung
Aus diesem Grund haben Sophie und ich im Juni 2019, also etwa 8 Monate später wieder unsere Taschen gepackt, die Reifen aufgepumpt und die Wasserflaschen aufgefüllt. Voller Elan und Motivation haben wir uns am Endpunkt unserer ersten Etappe getroffen: in Gladbeck.
Von hier aus führten uns diverse Radwege durch das nördliche Ruhrgebiet und anschließend durch das schöne Münsterland. Unser Tagesziel war ein wundervoller Naturcampingplatz in der Nähe von Steinfurt. Endlich angekommen war erstmal wieder Insta-Time angesagt. Denn auch jetzt mussten wir uns wieder an die „richtigen“ Insta-Stories gewöhnen. In der Abendsonne radelten wir dann durch die Felder, auf der Suche nach einer schönen Wirtschaft, um den ersten Tag und die 84 km Strecke ausklingen zu lassen.
Wind und Vogelgezwitscher haben uns am nächsten Tag geweckt. Frisch auf dem Rad durch die Felder. Da sieht man dann Rehe oder Greifvögel. Eben vieles, was einem verborgen bleibt, wenn man das Auto nutzt. Unser heutiges Tagesziel ist 99 Kilometer entfernt und liegt in der Nähe von Cloppenburg. Da wir schon seit dem Ruhrgebiet nicht mehr am Rhein entlangradelten, erwartete uns eine bunte Auswahl mit allerhand Radwegen. Von Asphaltwegen neben Bundesstraßen bis hin zu „Radwegen“ im Wald, die eigentlich nur Sandpfade sind. Absolut genial sind für uns zurückgebaute alte Bahnlinien, die heute superkomfortable Radwege sind. Links und rechts gibt es dann hin und wieder eine Infotafel und die vielen alten Bahnhöfe laden zu einer Einkehr bei Kaffee und Kuchen ein. Dieses Mal hatten wir pures Wetterglück und genießen den Sommer in vollen Zügen. Am Tagesziel angekommen wurde natürlich erstmal mit einem kühlen Radler angestoßen, bevor am folgenden Tag die letzten Kilometer bis zur Nordsee auf dem Plan standen.
Final Countdown
Bevor wir uns aufs Rad geschwungen haben, lief zur Einstimmung Europe’s „final countdown“. Eine krasse Vorstellung, dass heute Abend das enden würde, was wir im September 2018 gestartet haben. Aber anstatt uns zu beeilen, haben wir den Tag auf dem Rad zelebriert. Da unser Weg und durch Bad Zwischenahn und am Zwischenahner Meer vorbeiführte, kamen wir nicht umhin, kurz auf ein Eis zu bleiben. Aber spätestens ab diesem Zeitpunkt stiegt die Spannung und Vorfreude mit jedem Kilometer, den wir uns unserem Tourenziel näherten.
Gegen 15:30 Uhr erreichten wir dann endlich das Ziel unserer Tour: Dangast. Was für ein Gefühl. Die erste Priorität lag wie jeden Tag auf einer erfrischenden Dusche, gefolgt vom obligatorischen Feierabend-Bier. Doch heute war das Highlight des Abends der Sonnenuntergang am Dangaster Kurhaus-Strand. Die Füße im Schlick und ein großes Grinsen im Gesicht. Erst jetzt realisieren wir wirklich, was wir geschafft haben und sind mächtig stolz auf uns. Mächtig erschöpft, aber überglücklich fallen wir schon früh ins Bett.
Wenn ich nun die ganzen Erlebnisse revuepassieren lasse, bin ich so dankbar für alle Momente dieser Tour. Sie haben dazu beigetragen, dass Sophie und ich uns als Schwestern nochmal neu kennen lernen, dass wir uns selbst besser kennenlernen, ebenso wie unsere körperlichen Grenzen. Aber wir sehen auch, was man mit Motivation, Durchhaltevermögen und Spaß alles erreichen kann. Wir waren am Ende große Glückskinder. Denn niemand hat sich verletzt, alles blieb ganz, keine gebrochenen Speichen und nicht mal ein platter Reifen haben uns Probleme bereitet.
Für uns also eine durch und durch wertvolle Erfahrung, ohne Vorkenntnisse:
Einfach mal machen.
Der gute Zweck
Da wir der ganzen Unternehmung außerdem einen größeren Sinn gegeben haben, soll euch natürlich nicht vorenthalten werden, wie viele Spenden wir am Ende für die Arbeit der Gesellschaft zur Biologischen Krebsabwehr e.V. sammeln konnten. Ganze 657 € konnten wir so für einen guten Zweck erradeln.
Wir sind unendlich dankbar für alle Spenden, die zusammen kamen, für alle Menschen, die uns online auf Instagram und Facebook begleitet haben, für alle Begegnungen auf unserer Tour, für den Support durch viele Barcamp-Dangast-Teilnehmer:innen, allen voran Frank für seine Unterstützung und die Möglichkeit nun hier über unsere Erlebnisse auf dem Rad berichten zu können.