Im Zusammenhang mit der Corona Pandemie und der Umsetzung sogenannter Popup Bikelanes spielt die kolumbianische Hauptstadt Bogota in der Berichterstattung in Deutschland immer wieder eine Rolle. In kürzester Zeit hat man dort auf die Situation reagiert und ebenso wie in Berlin, Budapest oder auch Paris temporäre Infrastrukturen aufgebaut. In diesem Fall sogar zusätzliche Infrastruktur, denn in der Stadt gab es bereits über 500 Kilometer Ciclorutas – also dauerhaft ausgewiesene Radwege. Und man blickt in der südamerikanischen Stadt auf eine lange Historie in Bezug auch auf zum Beispiel temporäre Straßensperrungen zurück. Bereits Anfang der 70er Jahre wurden regelmäßig lange Straßenabschnitte für den Autoverkehr gesperrt. Spätestens seit 1976 sind die Ciclovia genannten, autofreien Sonn- und Feiertage eine feste Institution. Der temporär zur Verfügung stehende Platz wird auf diese Art und Weise für Radfahrer Fußgänger und verschiedenste Aktionen mitten in der Stadt nutzbar gemacht. Dabei handelt es sich um ein mehr als 120 Kilometer umfassendes, zusammenhängendes Netz, das sich über die ganze Stadt erstreckt.
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Laura Rojas im Gespräch
Ich habe mit Laura Rojas gesprochen, die in Bogota das Unternehmen Bicistema gegründet hat. Schon während ihres Architektur-Studiums hat sie die Thema Radverkehr für sich entdeckt und auch persönlich dessen Rolle als Transportmittel in der Stadt neu definiert. Gleichzeitig hat sie erkannt, dass das Potenzial des Fahrrads bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Vor allen Dingen in Bezug auf das Thema Beteiligung und zum Beispiel auch dem Anteil Rad fahrender Frauen, erkannte sie massiven Nachholbedarf. Im Rahmen unserer Abstimmung wird bald klar, dass Themen wie Emanzipation und Gleichstellung, Gendergerechtigkeit, Diversität und Inklusion wichtige Maßstäbe für Lauras Blick auf die Situation sind. Und auch ganz praktische Herausforderungen wie der Schutz vor Übergriffen und allgemeiner gesehen die Verkehrssicherheit.
Unabhängig und sicher auf dem Rad
Laura ist in Bogota geboren und aufgewachsen. das Fahrrad gehörte im unmittelbaren Umfeld lange Zeit für sie zum alltäglichen Leben. Die autofreien Sonntage und die gesperrten Straßen prägten auf gewisse Art und Weise ihr Verständnis für das Fahrrad als alltägliches Transportmittel. Ihr Architekturstudium führte sie unter anderem nach Argentinien und später nach Spanien. Durch die Studienaufenthalte veränderte sich ihr Blick auf das Thema Radverkehr. Und auch der auf Frauen in der Öffentlichkeit. Zurück in Kolumbien fuhr sie regelmäßig mit dem Rad zur Hochschule. Zuvor hatte sie, wie viele andere auch, vor allen Dingen öffentliche Verkehrsmittel im Alltag genutzt. Und zwar ohne dies großartig zu hinterfragen. Und auch den alltäglichen Chauvinismus nahm sie als mehr oder weniger gegeben hin.
Laura wird ernst wenn sie davon berichtet, wie ihr klar wurde dass Frauen fast überall auf der Welt und zu fast jeder Zeit Opfer sexualisierter Übergriffigkeit werden. Vielleicht liegt es daran, sagt sie völlig ohne Ironie, dass sie selbst aussehe wie der Prototyp einer südamerikanischen Schönheit. In öffentlichen Verkehrsmitteln sei es noch herausfordernder als auf offener Straße. Und in ihrer Heimatstadt Bogota noch deutlich schlimmer als zum Beispiel in Spanien. Sie berichtet von sogenannten “Pink Buses” in Mexiko und äußert ihr Unverständnis darüber, dass die Gesellschaft das männliche Verhalten quasi legitimiert, indem sie eigene Bereich für Frauen in Bussen und Bahnen vorsieht. Während Frauen sich überlegen müssten, ob sie im Sommer im Kleid auf die Straße gehen.
Neuer Blick auf Radverkehr
Nach einem Jahr in Spanien entscheidet sie sich das Thema Radverkehr im Rahmen ihrer Masterarbeit ins Visier zu nehmen. Ausgangspunkt ist das Gefühl sich auch auf dem Fahrrad trotz der vorhandenen Infrastruktur nicht sicher zu fühlen. Bogota verfügte zu diesem Zeitpunkt 2012 über rund 400 Kilometer sogenannter Protected Bikelanes. “Und obwohl damit eine gute Infrastruktur zur Verfügung stand, fühlte ich mich nicht sicher,” sagt Laura. Sie führt dies vor allen Dingen auf ein großes Gender Data Gap zurück, dass auch von der Stadt selbst erkannt wurde. In den letzten Jahren wurden strukturiert Daten erhoben, um die Situation insgesamt besser beurteilen zu können. Eine jährliche Untersuchung zum Thema Mobilität zeigte zuletzt 2019, dass nur 6,6% der Wege zur Arbeit mit dem Rad zurückgelegt werden. Und Dreiviertel der Radfahrer sind Männer. Das ausgemachte Ziel der Stadt ist es den Anteil der Rad fahrenden Frau deutlich zu erhöhen. 50/50 Challenge fast das Ziel gleicher Anteile der Geschlechter prägnant zusammen.
Menschen einbinden: Tactical Urbanism
Laura selbst erkannte, dass die Herausforderung vor allen Dingen daran bestand, die Menschen in den Prozess und die Ideenfindung mit einzubinden. Sie trug damit der Erkenntnis aus ihrer eigenen Entwicklung und persönlichen Entscheidung zur Wahl des Verkehrsmittels Rechnung. Sie hatte wie gesagt selbst und trotz aller Umstände die bevorzugte Wahl der öffentlichen Verkehrsmittel nie hinterfragt. Und erkannte, dass es für das Ziel mehr Menschen und anteilig mehr Frauen aufs Rad zu bewegen einer besondere Herangehensweise bedurfte. Ich frage mich, ob diese Art der Mensch zentrierten Sichtweise und den daraus resultierenden Werkzeugen der taktischen und teils temporären urbanen Gestaltung Teil und Inhalt des Architektur Studiums war. Laura verneint das und macht deutlich, dass dieses Vorgehen ihrem eigenen natürlichen Impuls entsprochen hat.
Gründung Bicistema
Nach Abschluss des Studiums macht sie sich selbständig und gründet Bicistema. Das Beratungsunternehmen kümmert sich unter anderem und das Thema Fahrradparken und bietet auch Workshops und Beratung an. Die Leistungen gehen bis zur kompletten Umgestaltung besonders dunkler und verdreckter Plätze und Bereiche, die dann im Folgenden eine wichtige und bessere lokale Aufenthaltsfunktion erfüllen können. bei der Entwicklung gerade dieser lokalen städtischen Bereiche spielt einerseits das Thema Partizipation und Beteiligung der Anwohner und zukünftiger Nutzer eine wesentliche Rolle. und zum anderen bieten diese neu und fröhlich gestalteten Plätze nicht nur neue Möglichkeiten sondern erhöhen auch das Gefühl von Sicherheit und Sauberkeit.
Der Partizipationsprozess richtet sich nicht nur an die lokale Administration sondern eben auch und vor allen Dingen an die Menschen vor Ort. die Stadtteile und Nachbarschaften stellen im Grundsatz das jeweilige kulturelle und alltägliche Zentrum dar. Laura macht deutlich, dass die Bevölkerung aufgrund von Korruption nur wenig Vertrauen in die Regierungsstellen hat daraus resultieren auch teils große Widerstände wenn es um die Umsetzung neuer Ideen geht. um dem Ziel näher zu kommen die Umgebung insbesondere auch für Frauen die radfahren oder auch zu Fuß gehen sicherer zu gestalten finden daher nicht nur Veranstaltung statt, sondern oft geht sie bei ihrer Arbeit mit ihrem Team auch von Tür zu Tür, führt Gespräche, sucht nach Ideen, Ansprechpartnern und ersten Lösungen.
Bogota erkennt Herausforderungen
Obwohl Bogota auf die lange Historie der autofreien Sonntage zurückblickt , erkennt Laura an verschiedenen Stellen Schieflagen. Ausgehend von der Frage, warum sie selbst das Rad in der Woche nicht für alltägliche Wege genutzt hat, sieht sie eine Lücke im Beteiligungsprozess. Zum anderen sei das Fahrrad in der öffentlichen Wahrnehmung aber z.b. auch aus Sicht der Industrie vor allen Dingen ein Sportgerät. Und daran ändern auch die autofreien Sonntage nichts, weil die gesperrten Straßen vor allen Dingen für Sport und Freizeitaktivitäten genutzt werden. Sie fragt sich: was können wir wirklich richtig besser machen?
Auch die Stadt Bogota hat die Herausforderungen erkannt und angenommen. Sie ist bislang der größte Auftraggeber und Förderer von Lauras Unternehmen Bicistema. Mit Hilfe einer App wurde 2019 versucht Gefahrenpunkte zu identifizieren. Die Ergebnisse und weitere Untersuchungen bilden die Grundlage für aktuelle Interventionen. Rund 40.000 Gefahrenpunkte mit einem hohen Einfluss wurden identifiziert. Laura leitet aktuell Projekte in Mexico, Peru und Kolumbien und arbeitet mit Organisationen wie Transformative Urban Mobility Initiative TUMI, the Public Space Laboratory of Mexico LEPMX und der Colombian Society of Architects SCA zusammen.
English Version
During the Corona pandemic and the implementation of so-called pop-up bikelanes, the Colombian capital Bogota has repeatedly played a role in reporting in Germany. In a very short time, people there reacted to the situation and set up temporary infrastructures, just as in Berlin, Budapest or Paris. In this case, even additional infrastructure, because the city already had over 500 kilometers of ciclorutas – permanently designated bike paths. And the South American city has a long history of temporary road closures. As early as the beginning of the 1970s, long stretches of road were regularly closed to motor traffic. Since 1976 at the latest, the car-free Sundays and holidays called Ciclovia have become a fixed institution. In this way, the temporarily available space is made available for cyclists, pedestrians and various activities in the middle of the city. This is an interconnected network of more than 120 kilometers that extends throughout the city.
I spoke with Laura Rojas, who founded the company Bicistema in Bogotá. She discovered the topic of cycling for herself while she was still studying architecture and also personally redefined its role as a means of transport in the city. At the same time, she realized that the potential of the bicycle is far from being fully exploited. Above all, she recognized a massive need to catch up with regard to the topic of participation and, for example, the proportion of women riding bicycles. While we were talking, it soon becomes clear that topics such as emancipation and equality, gender justice, diversity and inclusion are important benchmarks for Laura’s view of the situation. And also very practical challenges such as protection against assault and, more generally, road safety.
Laura was born and raised in Bogota. for a long time, the bicycle was part of everyday life for her in her immediate surroundings. In a way, the car-free Sundays and closed roads shaped her understanding of the bicycle as an everyday means of transportation. Her architectural studies took her to Argentina and later to Spain, among other places. The study visits changed her perspective on cycling. And also that of women in the public sphere. Back in Colombia, she regularly biked to college. Previously, like many others, she had primarily used public transportation in her daily life. And she did so without questioning this to any great extent. And she also accepted the everyday chauvinism as more or less a given. Laura becomes serious when she talks about how she realized that women are victims of sexual assault almost everywhere in the world and at almost any time. Maybe it’s because, she says without irony, she herself looks like the prototype of a South American beauty. On public transportation, she says, it’s even more challenging than on the open street. And in her hometown of Bogota, it’s even worse than in Spain, for example. She reports on so-called „pink buses“ in Mexico and expresses her incomprehension that society virtually legitimizes male behavior by providing separate areas for women on buses and trains. While women would have to consider whether to go out on the street in the summer in a dress.
After a year in Spain, she decides to focus on the topic of cycling as part of her master’s thesis. The starting point is the feeling of not feeling safe even on a bicycle despite the existing infrastructure. Bogota had about 400 kilometers of so-called Protected Bikelanes at that time in 2012. „And although this meant that there was a good infrastructure available, I didn’t feel safe,“ Laura says. She attributes this primarily to a large gender data gap that was also recognized by the city itself. In recent years, structured data has been collected to better assess the situation overall. An annual survey on mobility most recently showed in 2019 that only 6.6% of trips to work are made by bicycle. And three-quarters of cyclists are men. The city’s made-up goal is to significantly increase the percentage of women bicycling. 50/50 Challenge almost succinctly summarizes the goal of equal gender shares.
Laura herself recognized that the challenge was, above all, to involve people in the process and the brainstorming. In doing so, she took into account the realization from her own development and personal decision to choose the mode of transportation. As I said, she had never questioned her own preferred choice of public transportation, despite all the circumstances. And realized that getting more people, and proportionately more women, on bikes required a special approach. I wonder if this kind of human-centered view and the resulting tools of tactical and partly temporary urban design was part and content of the architecture degree. Laura denies this and makes it clear that this approach corresponded to her own natural impulse.
After completing her studies, she became self-employed and founded Bicistema. Among other things, the consulting company takes care of the topic of bicycle parking and also offers workshops and consultancy. The services go as far as the complete redesign of particularly dark and dirty squares and areas, which can then subsequently fulfill an important and better local stay function, in the development of these local urban areas in particular, on the one hand the topic of participation and involvement of local residents and future users plays an essential role. and on the other hand these newly and cheerfully designed squares not only offer new opportunities but also increase the feeling of safety and cleanliness.
The participation process is not only aimed at the local administration, but also and above all at the local people. The districts and neighborhoods are basically the cultural and everyday center. Laura makes it clear that, due to corruption, the population has little trust in the government agencies, which sometimes results in great resistance when it comes to implementing new ideas. In order to get closer to the goal of making the environment safer, especially for women who cycle or walk, she not only holds events, but also often goes door to door with her team, conducts talks, looks for ideas, contacts and initial solutions.
Although Bogota looks back on a long history of car-free Sundays, Laura recognizes a number of inconsistencies, starting from the question of why she herself did not use the bike for everyday journeys during the week, she sees a gap in the participation process, on the other hand, in the public perception, but also from the point of view of the industry, for example, the bicycle is primarily a piece of sports equipment, and the car-free Sundays do not change this, because the closed roads are primarily used for sports and leisure activities. She asks herself what can we really do better?
The city of Bogota has also recognized and accepted the challenges. In 2019 an app was used to try to identify danger points. The results and further research form the basis for current interventions. and 40,000 danger points with a high impact have been identified.Laura currently leads projects in Mexico, Peru and Colombia, working with organizations such as the Transformative Urban Mobility Initiative TUMI, the Public Space Laboratory of Mexico LEPMX and the Colombian Society of Architects SCA.