Über das Thema Radplanung auf Augenhöhe und eine damit verbundene (persönliche) Lernreise unter anderem nach Rotterdam, habe ich bereits geschrieben. Die Stadt bietet aber nicht nur bemerkenswerte Begegnungen und bildet einen interessanten inhaltlichen Brückenschlag – schließlich hat mich die Reise nach New York auf die Fährte eines neuen Planungsansatzes und damit nach Rotterdam gebracht. Die Hafenstadt selbst ist auch ein spannender Ort mit Entwicklungen und eigenen Hintergründen. Das ich erzählen mag wie es dort aussieht, ist mir nicht zuletzt durch den Bericht über unsere Reise nach Utrecht bewusst geworden. Aus diesem Grund gibt es hier einen kleinen Einblick in eine abwechslungsreiche und herrlich raue niederländische Hafenstadt. Und ein tolles Rad-Café gibt es da auch und das ist ja gerade mein Thema. Das auch noch an einer besonders interessanten Stelle.
English version at the bottom
Rotterdam auf Augenhöhe
Rotterdam ist keine Schönheit, sondern eine echte Hafenstadt. Der Reiz der Stadt liegt meines Erachtens in der Authentizität und seemännischer Seele. Der Hafen und das Wasser sind allgegenwärtig. Rotterdam ist dabei nicht schick wie zum Beispiel Hamburg, sondern eher ursprünglich und rau wie Wilhelmshaven. Und dabei lebendig, jung und experimentierfreudig. Die niederländische Hafenstadt ist wie viele andere im zweiten Weltkrieg zerstörte Städte weitgehend autogerecht wieder aufgebaut worden. Mit all den Nachteilen, die das heute mit sich bringt. Breite Straßen, mehrstöckige Häuser, vor allen Dingen aber eine funktionale Trennung von Wohnen, Arbeit, Freizeit und Kultur. Und dazu noch ganze Stadtviertel, die – obwohl zentrumsnah – von der Entwicklung abgeschnitten zu sein scheinen.
Rotterdam ist erfinderisch. Die häufig ungenutzten Flachdachflächen der Hochhäuser werden zu sonnenverwöhnten Gärten und sozialen Treffpunkten umfunktioniert (ein aktuelles Beispiel findet ihr hier).. Und die Agentur, die sich um entsprechende Initiativen und das Thema „Planung auf Augenhöhe“ kümmert, wird kurzerhand im Stadtteil Zoho angesiedelt. Um mit ihr gemeinsam der bisherigen Entwicklung dort vor Ort entgegen zu wirken. Es werden im wahrsten Sinne des Wortes Brücken gebaut – einladend und hell, um die Barriere durch Verkehrsachsen zu überwinden. Und ein still gelegtes Bahnhofsgelände der Hochbahn wird zu einem urbanen Garten. Ein Bauwagen wird zum Tiny-House und eine unerschrockene und selbstständige junge Planerin lebt dort und hat ein Auge auf das Areal.
Lernreise per Rad
Das was ich hier lernen wollte, kann ich überall im Stadtbild finden. Planung auf Augenhöhe (The City At Eye Level) bedeutet auch: ausprobieren, Menschen befragen und einbinden, Pop-Up-Lösungen sowie kurz-, mittel- und langfristige Ansätze zu entwickeln. Dachterrassen, Nachbarschaftsinitiativen, Ortsbegehungen, temporäre Umgestaltung mit iterativen Verbesserungsschleifen, Lösungen mit Containern und mobilen Möbeln – alles das ist Teil eines Planungsansatzes im Zusammenhang mit dem so genannten Placemaking. Ein Ansatz, der nicht nur im übertragenen Sinne auf Augenhöhe stattfindet. Ganz praktisch und unkompliziert, wird die Situation nicht am Reißbrett und aus der Vogelperspektive bewertet, sondern auf Augenhöhe vor Ort. Das Gespräch mit Beteiligten wie Anwohnern, Passanten und Verkehrsteilnehmern und Geschäftsleuten gehört dazu, Das gefällt mir am allerbesten und bedeutet auch, Menschen zu identifizieren, die man bei der Umsetzung von Strategien einbinden kann. Die bestenfalls sogar selbst motiviert sind, die Veränderungen voran zu treiben.
Im Prinzip ist dies nicht anders, als in den Niederlanden auch der Radverkehr geplant wird. Es ist ein ständiges Ausprobieren, Beteiligen und Optimieren. In Groningen habe ich im letzten Jahr selbst an einem entsprechenden nachbarschaftlichen Treffen mit Beteiligung der Stadt teilgenommen. Das sind keine Bürgerbeiteiligungsveranstaltungen, wie wir sie uns hier oft vorstellen. Mit unzugänglichen Meinungsträgern und starren Regulären, sondern eher informelle und ergebnisoffene Treffen, die aufeinander aufbauen. Und bei denen gemeinschaftlich Lösungen gefunden werden. Vielerorts ist in Rotterdam – so wie in anderen Niederländischen Städten auch – ein attraktives und meist gut ausgebautes, zusammenhängendes Radwegenetz entstanden. Gerade am Wasser entlang und durch beruhigte Wohn- und Geschäftsviertel kann man entspannt radeln. Der durch die Bebauung mit mehrgeschossigen Häusern und breiten Schneisen entstandene Nachkriegs-Charakter, ist damit kaum zu brechen. Kleinräumige Lösungen und Angebote, lösen das Schluchtenartige der Stadt dennoch im Ansatz auf. Da wo noch nicht dauerhaft Leben eingekehrt ist, bieten die beschriebenen Pop-Up-Elemente eine Übergangslösung.
Rad-Café in Zoho
Ein schönes Beispiel für eine ehemalige Brache ist die Nachnutzung eines Hochbahn-Viadukts. Im weiteren Verlauf der ehemaligen Bahnstrecke jenseits des oben beschriebenen Bahnhofsgeländes erstreckt sich ein rund zwei Kilometer langer, denkmalgeschützter Stahlbeton-Bau parallel zur Straße. Der Betrieb der Hochbahn wurde 2009 eingestellt und die knapp 190 Bogenbauten auf Straßenebene werden durch Geschäfte, Handwerk und Kultur umgenutzt.
Und wie könnte es anders sein: ich schlendere an der Hochbahntrasse entlang und werde förmlich in ein Ladengeschäft gezogen. Fahrräder ziehen mich halt magisch an. Und ich stehe unmittelbar im rustikalen Ambiente von COPPI Koffie & Fietsen. Ein Rad-Café wie aus dem Bilderbuch mit hohen Decken, die sich aufgrund der Viaduktbauweise über meinem Kopf wölben. Ich sauge die Atmosphäre in mir auf und schlendere durch den Laden. Es geht um die Ecke und wenn man durch die zweite Tür nach außen tritt, steht man in der Nachmittagssonne. Ich entscheide mich ein bisschen hier zu bleiben und bestelle mir einen Kaffee. Ach so, und mehr gibt es über Rotterdam nicht zu berichten. Besser wurde es nicht mehr.
Zu COPPI Koffie & Fietsen geht’s hier.
Exkurs New York City
Auf die Spur der Entwicklungen und auch der Schulung in Rotterdam hat mich mein Trip nach New York City geführt. Die ehemalige Verkehrssenatorin Janette Sadik-Khan (Former Department of Transportation Commissioner) hatte ihre Initiativen ganz klar an das Vorgehen in den Niederlanden angelehnt. Sie war es auch, die diesen starken und hervorragend animierten Artikel auf Twitter geteilt hat.
English version
I have already written about the topic of bicycle planning at eye level and a related (personal) learning journey to Rotterdam, among other places. But the city not only offers remarkable encounters and forms an interesting bridge in terms of content – after all, the trip to New York put me on the trail of a new planning approach and thus to Rotterdam. The port city itself is also an exciting place with developments and its own background. That I like to tell how it looks like there, I realized not least by the report about our trip to Utrecht. For this reason, here’s a little insight into a diverse and wonderfully rough Dutch port city. And there’s a great bike café there, too, and that’s just my favourite theme. That also in a particularly interesting place.
City at Eye Level
Rotterdam is not a beauty, but a real port city. In my opinion, the charm of the city lies in its authenticity and seafaring soul. The port and the water are omnipresent. Rotterdam is not chic like Hamburg, for example, but rather original and rough like Wilhelmshaven. And at the same time lively, young and experimental. Like many other cities destroyed in the Second World War, the Dutch port city has been largely rebuilt to suit cars. With all the disadvantages that this entails today. Wide streets, multi-story buildings, but above all a functional separation of living, working, leisure and culture. And in addition, entire neighborhoods that – although close to the center – seem to be cut off from development.
Rotterdam is inventive. The often unused flat roofs of high-rise buildings are being transformed into sunny gardens and social meeting places. And the agency that takes care of corresponding initiatives and the topic of „planning at eye level“ is unceremoniously located in the Zoho district. In order to counteract the previous development there together with it locally. Bridges are built in the truest sense of the word – inviting and bright, to overcome the barrier of traffic axes. And a disused railway station site is being turned into an urban garden. A construction trailer becomes a tiny house and an intrepid and independent young planner lives there and keeps an eye on the area.
Learning journey by bike
What I wanted to learn here, I can find everywhere in the cityscape. Planning at eye level (The City At Eye Level) also means: trying things out, asking and involving people, developing pop-up solutions as well as short-, medium- and long-term approaches. Rooftop terraces, neighborhood initiatives, site visits, temporary redesign with iterative improvement loops, solutions with containers and mobile furniture – all of these are part of a planning approach related to what is known as placemaking. An approach that is not only figuratively at eye level. In a very practical and uncomplicated way, the situation is not evaluated on the drawing board and from a bird’s eye view, but on site at eye level. Talking to stakeholders such as residents, passers-by and road users and business people is part of the process. That’s what I like best of all and also means identifying people who can be involved in implementing strategies. Who, at best, are even motivated themselves to drive the changes forward.
In principle, this is no different than how bicycle traffic is also planned in the Netherlands. It is a constant process of trial and error, participation and optimization. In Groningen last year, I myself took part in a corresponding neighborhood meeting with participation from the city. These are not citizen participation events as we often think of them here. With inaccessible opinion leaders and rigid regulars, but rather informal and open-ended meetings that build on each other. And where solutions are found together. In many places in Rotterdam – as in other Dutch cities – an attractive and mostly well-developed, interconnected network of bicycle paths has been created. Especially along the water and through quiet residential and business districts, one can cycle in a relaxed manner. The post-war character created by the development of multi-storey houses and wide aisles can hardly be broken. Nevertheless, small-scale solutions and offers begin to dissolve the canyon-like character of the city. Where life has not yet come permanently, the pop-up elements described offer a transitional solution.
Cycle-Café Zoho
A fine example of a former wasteland is the reuse of an elevated railroad viaduct. In the further course of the former railroad line beyond the station area described above, an approximately two-kilometer-long, landmarked reinforced concrete structure extends parallel to the street. The elevated railroad ceased operations in 2009, and the nearly 190 arched buildings at street level are being converted for use by stores, crafts and culture.
And how could it be otherwise: I stroll along the elevated railway line and am literally drawn into a store. Bicycles attract me magically. And I stand directly in the rustic ambience of COPPI Koffie & Fietsen. A bike café like something out of a picture book with high ceilings that arch over my head due to the viaduct construction. I soak up the atmosphere and stroll through the store. It’s around the corner and when you step outside through the second door, you’re standing in the afternoon sun. I decide to stay here for a bit and order a coffee. Oh, and that’s all there is to report about Rotterdam. It did not get any better.