Dienstagmorgen auf dem Weg zur Arbeit. Ich kombiniere jetzt die rund 30 Kilometer Strecke mit E-Bike und Bahn so, dass ich gut die Hälfte auf dem Rad unterwegs bin. Ich fahre gerne Rad, die Bewegung und die frische Luft tun mir gut und die Radwege sind relativ okay. Ich bin schnell unterwegs und auf der Strecke gibt es einige Einmündungen, die oft genug zu gefährlichen Begegnungen führen: die meisten Autofahrer rechnen nicht mit einem Radfahrer auf dem Radweg.
An diesem Tag fällt der Zug aus und ich entschließe mich, die Tour einfach zu verlängern. Es ist kalt und statt eine halbe Stunde zu warten, kann ich auch weiter mit dem Rad ins Zentrum fahren. Ich hoffe und baue darauf, dass die Ampeln mich nicht zu lange aufhalten und der Verkehr keine Unwägbarkeiten für mich bereit hält. Diese Hoffnung ist unbegründet, wie sich schon bald nach Erreichen der Stadtgrenze heraus stellen soll.
Drama in drei Akten auf 500 Metern
Der Autofahrer in der Schlange neben mir wird rechts abbiegen, ohne auf die kreuzenden Radfahrer zu achten. Ohne auf mich zu achten. Woher ich das weiß? Ich kann es nicht sagen, vielleicht ist es diese drängelnde Fahrweise, vielleicht irgendetwas das signalisiert: in diesem Kopf ist gerade nur Platz für den Abbiegevorgang. Wie in einem kosmischen Drehbuch kreuzen sich unsere Wege, ich bin immer noch bereit zur Vollbremsung, als im Kopf des Fahrers mitten im bestimmenden Abbiegevorgang das Bild eines Radfahrers auftaucht. Er hatte im Abbiegen noch einmal beschleunigt und kommt jetzt ruckartig zum Stehen. Ich fluche, er wundert sich und ich setze meine Fahrt fort.
Sehe vor mir auf dem Radweg einen LKW beim Entladen. Der Radweg verläuft hier schon hinter einer breiten Berme. Der musste sich richtig Mühe gegeben haben, genau dort hin zu zirkeln. Da ist nicht viel Platz rechts und links für mich und weil die Autos auf der Straße nicht schnell sind, wechsle ich auf die Fahrbahn. Wohl sehr zum Unmut einer Autofahrerin, die beschleunigt und mich so knapp überholt, dass zwischen ihrem Fahrzeug und mir auf der einen und dem Bordstein auf der anderen Seite kaum Platz bleibt. Ich klopfe an die hintere Scheibe. Den Arm muss ich dafür nicht ausstrecken, nur aufpassen, dass ich auf der andere Seite den Bordstein nicht mit der Pedale touchiere.
Zum Halten gezwungen
Das Klopfen wird mit einem Hupen beantwortet. Die Fahrerin setzt ihr Auto so eng vor mich, dass ich anhalten muss und wir beiden nebeneinander zum Stehen kommen. Ich kürze hier ab: wir diskutieren durch die offene Seitenscheibe. Das Klopfen an der Scheibe ist der Stein des Anstoßes – so wie ich das verstehe, war ich kurz davor das Auto zu demolieren. Gegenüber der (von ihr) herbei gerufenen Polizei gibt die Fahrerin die Nötigung quasi freimütig zu, indem sie lautstark ihr Unverständnis darüber äußert, wie ich während der Fahrt an ihr Auto klopfen konnte. Auch wäre ich laut geworden und sei aufgebracht gewesen. Da ist wohl was dran.
Mieses Gefühl abgedrängt zu werden
Der Fahrerin fallen fast die Augen aus dem Kopf, als die Polizei mich ziehen lässt. Ich habe bisher noch keine Anzeige erstattet. Und das Gefühl bedrängt und gefährdet worden zu sein, ebbt auch einen Tag später nicht ab. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert. Erst vor einigen Wochen, hat mich ein Fahrer mit seinem Volvo-Kombi disziplinieren wollen, als ich auf der Straße fuhr. Ich hatte ihn kurze Zeit später an einer Tankstelle zur Rede gestellt. Auch er gab die Nötigung zu: ihm hatte mein Verhalten an einer Einmündung kurz zuvor nicht gefallen.
Planung versus Verhalten
Ich denke zurück an eine Reise nach Rotterdam vor wenigen Wochen: warum ist so etwas in den Niederlanden oder z.B. auch in Kopenhagen undenkbar? Ich bin kein „Rüpelradler“, ich fahre forsch und bestimmt Rad. Ich vermeide unerquickliche Diskussionen, die in gegenseitiger Schuldzuweisung „aber die Radfahrer“ und „aber die Autofahrer“ enden. Doch fühle ich mich angegriffen.
Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Gründe dafür, dass das was mir passiert ist und sehr unangenehme Gefühle hinterlässt, andernorts nicht passiert. Zum Einen geht es um Planung und strukturelle Entflechtung des Verkehrs: Rad, Fuß und motorisierter Verkehr werden in Amsterdam, Groningen oder Kopenhagen entflochten, die Fahrstreifen für Radler geschützt und die Kreuzungsbereiche so gestaltet, dass gegenseitige Sichtbarkeit und Rücksichtnahme kein Zufall sind.
Zum anderen ist aber auch das Verhalten ein grundsätzlich anderes. In den genannten Ländern und Städten, gibt es ein Bewusstsein – persönlich und gesellschaftlich – dafür, welche Gefahren von einem Auto ausgehen. Ich bin ein 1,95 Meter großer Mann. Auch meine Knochen brechen beim Zusammenstoß mit einem PKW, auch meine Lungen kollabieren, auch meine Haut, meine Muskeln und Gewebe werden zerschnitten, zerquetscht, bluten und verteilen sich über Asphalt und Blech. Ich fühlte mich bedroht und genötigt und dieses Gefühl wurde nicht aufgelöst.