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Blogbeiträge / Radverkehr

Was wird aus der kritischen Masse?

Berlin bekommt ein Fahrradgesetz, Lastenräder sind aus dem Straßenbild auch in Deutschland kaum mehr weg zu denken, Transportdienste setzen schon lange auf Alternativen zum Auto und der Anteil des Radverkehrs an den gesamten innerstädtischen Wege, hat die einstelligen Prozentzahlen häufig hinter sich gelassen. Alles im „grünen“ Bereich also? Mitnichten würde ich sagen: bereits vor 15 bzw. knapp 20 Jahren hatte man entscheidende Veränderungen in Sachen Radverkehr nicht nur in der Hauptstadt, sondern mit der Radverkehrsnovelle und dem dann folgenden „Nationalen Radverkehrsplan“ im ganzen Land erwartet. Bei Transporträdern durfte man schon damals eine Renaissance vermuten. Statt dessen sind heute die damals belächelten Elektrofahrräder nicht mehr aufzuhalten. Warum dauert das alles so lange? Warum sind wir nach wie vor von einer echten „Verkehrswende“ gefühlt ebenso weit entfernt, wie Ende der 90iger Jahre?

Critical Mass – die kritische Masse

In vielen deutschen Städten findet sie sich Ende des Monats regelmäßig zusammen: die kritische Masse. Durchaus doppeldeutig im Klang, ist sie vielerorts eher tatsächlich eine „Bewegung“, als (verkehrs-)politischer Ausdruck von Veränderungswillen oder -bereitschaft. Die Infrastruktur in vielen Deutschen Städten ist nach wie vor in erster Linie auf den Autoverkehr ausgelegt. Selbst der Öffentliche Personennahverkehr macht mit Haltebuchten regelmäßig dem automobilen Verkehrsfluss Platz und drängt andere Verkehrsteilnehmer zusätzlich und buchstäblich an den Rand. Nun ist Infrastruktur nichts, was man von Heute auf Morgen ändert. Einzusehen. Aber wie sieht es mit der kritischen Masse aus, die zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel bereit wäre. Schließlich bekam die Bewegung daher einst ihren Namen: die Begründer im kalifornischen San Francicso sahen sich Aufnahmen des Verkehrsflusses in Asien an und bekamen Folgendes zu sehen: an den Kreuzungen der Straßen stauten sich Radfahrer wartend auf,  Bis? Ja bis Ihre Zahl groß genug war, sich die Vorfahrt einfach zu nehmen und geschlossen die kreuzende Straße zu überqueren. Bis sich also eine kritische Masse gebildet hatte. Bildet sich die kritische Masse für eine Verkehrswende hierzulande einfach nur sehr langsam?

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Die Diskussionen um den Diesel sind noch nicht vorbei und gleichzeitig greifen schon neue, kreative Lösungen Raum

Weniger Autos mehr Alternativen

„Eine große Mehrheit der Deutschen will nicht mehr so stark auf das Auto angewiesen sein.  91 Prozent der Befragten sagen demnach, dass das Leben besser werde, wenn der oder die Einzelne nicht mehr auf ein Auto angewiesen ist. 79 Prozent wünschen sich eine Stadtentwicklung, die die Alternativen zum Auto stärkt, für ihre eigene Stadt oder Gemeinde.“ Zitat aus einer Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums (BMUB) und des Umweltbundesamtes (UBA).  Seit 1996 wird jährlich eine Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der aktuellen, repräsentativen Befragung sind deutlich: weniger Auto, mehr Alternativen. Umso größer die Stadt, um so größer der Wunsch nach Veränderungen. Aber noch einmal: warum dauert das alles so (unerträglich) lange?

Veränderung möglich machen

Nun wirkt sich die persönliche Veränderungsbereitschaft nicht unmittelbar auf die tatsächliche Lebenssituation aus. Ebenso wie langfristig „betonierte“ Infrastrukturen ändert sich durch eine Verschiebung der Wertvorstellung hin zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag unter Umständen nur wenig. Nicht zuletzt wegen ganz persönlicher wirtschaftlicher Fragestellungen. Warum zum Beispiel fuhren in Kopenhagen bereits Anfang des Jahrtausend zahlreiche Transporträder? Weil für Viele der Zweitwagen unerschwinglich war und das Lastendreirad eine kostengünstige Alternative mit geringen laufenden Kosten darstellte. Hierzulande muss sich noch heute ein Kleinserienprodukt wie das E-Moped „Feddz“ für rund 8.000 Euro dem Vergleich mit einem „richtigen Motorrad“ (Spiegel) stellen. Und jedes Fahrrad für über 1.000 Euro, ist den meisten Menschen schlicht „zu teuer“ – während die Sonderausstattung fürs Auto in der gleichen Höhe ohne Wimpernzucken gezahlt wird.

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Beispiel Groningen: die Bakfietsen im Verleih haben schon so manchen Umzug mitgemacht

Geld ist nicht alles

Beim Blick in den Rückspiegel, erschreckt mich die langsame Entwicklung ein bisschen. Es kann doch nicht nur am eigenen Portemonnaie hängen, ob sich tatsächlich etwas ändert. Über Jahre sind wir hier vor Ort im kleinen Örtchen Varel
dafür eingetreten, den Radverkehr stärker zu fördern. Über 10 Jahre Fahrradtage, ein eigenes Radverkehrskonzept, zuletzt ein Radverkehrsbeauftragter.  Und statt Umdenken und Anerkennen, dass nach wie vor die Verkehrsprobleme in der Stadt entstehen und nicht von Außen kommen, gibt es immer noch Diskussionen um eine Umgehungsstraße. Und die Autolobby, die nach wie vor die Autoschau zum Frühlingsfest macht, nutzt die Berichterstattung, um sich über das Verteufeln des Diesels zu beschweren. Als hätte der Verbrennungsmotor noch ein Zukunft.

Und warum jetzt?

Ich gebe zu, ich habe keine Antwort auf die Frage, warum die Verkehrswende auf sich warten lässt. Ich habe auch nur Vermutungen, kann Indizien bewerten und meine eigenen Schlüsse ziehen. Ich glaube aber, dass wir unsere Bemühungen verstärken müssen, dass wir anders denken und anders handeln müssen, um einfach schneller und effektiver zu nachhaltigen Lösungen zu kommen.

Studie BMUB und UBA zu Umweltbewusstsein der Deutschen

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