Ich war das erste Mal in Wien – und natürlich waren wir auch per Rad unterwegs. Dass sich dort etwas tut in Sachen Radverkehr, konnte man schon aufgrund einschlägiger Berichte erahnen. Dass es aber so viel Spaß macht hier zu radeln. hätte ich nicht gedacht. Unser Campingplatz lag direkt an der Donau unweit des Praters und damit auch nahe des Zentrum der österreichischen Hauptstadt. Von hier aus ist auch die langgezogene Donauinsel gut zu erreichen, wo man ungestört autofrei radeln kann. Was uns erwartete: bemerkenswert ansprechend ausgebaute Radwege, durchdachte Lösungen, kleine Aufenthaltsinsel – insbesondere am Flussufer, eine auffordernde Kommunikation, witzige Details und natürlich auch: (noch) Lücken im System und Autofahrende, deren Verhalten (noch) nicht zu einer Radfahrerstadt passt.






Stadtradeln Wien
Drei Tage waren wir per Rad in Wien unterwegs. Sightseeing per Fahrrad, wenn man so will. Unser Campingplatz lag günstig – über die Donauinsel, erreichte man schnell den Prater. Das rund sechs Quadratkilometer umfassende Gebiet, ist eine ursprünglich von der Donau geprägte Auenlandschaft. Und damit weit mehr als der Vergnügungspark an dessen Nordwestspitze, den man gemeinhin als Wiener Prater kennt. Alleine die Prater Hauptallee und die Wege durch das städtische Naherholungsgebiet, bieten viel autofreies Raderlebnis. Dort hin gelangt man über zahlreiche Brücken, die gut mit dem Rad befahrbar und erreichbar sind.
Jenseits des Praters, im Süden, befindet sich die historische Innenstadt Wiens. Hier merkt man schnell, dass das Rad einen hohen Stellenwert (bekommen) hat. Die breiten Radfahrstreifen (in der Bauart Protected Bikelanes), sind oft eingefärbt und muten wie eigenständige Fahrradstraßen an. Viele Einbahnstraßen,sind für den Radverkehr frei gegeben, Spielstraßen und Tempo-20-Zonen komplettieren die Bandbreite an ansprechenden Lösungen. Und so erreicht man ganz entspannt die Sehenswürdigkeiten der Stadt per Rad. Chapeau. Vieles davon, ist wohl erst in den letzten Jahren so entstanden. Auch Wien war nicht immer eine Fahrradstadt und ist vielleicht nach/mit Paris zusammen das eindrucksvollste Beispiel, in welcher Geschwindigkeit die Transformation vollzogen werden kann.






Kommunikation eindeutig gut
Oft sind es die kleinen Dinge, die das Gesamtbild rund machen. Und die Kommunikation ist eindeutig und auffordernd. Hier steht, wie viele Kilometer Radweg die Stadt Wien pro Jahr baut und dort (am Fahrradstand) prangt die Frage: „Warum fährst Du noch nicht Rad?“ An den Ampeln findet man Radler:innen-Piktogramme – stehend mit einem abgesetzten Fuß bei Rot- und radelnd bei Grünlicht. Neben einem „Grünen Pfeil“ für rechts abbiegende Radfahrende (mit dem Hinweis „nach Halt“, also nachdem man gestoppt hat), gibt es auch freie Fahrt geradeaus an verschiedenen Stellen und nach dem gleichen Prinzip.
Es wäre wahrscheinlich zu viel verlangt, wenn man erwarten würde dass jede Lücke im Radverkehrsnetz bereits geschlossen wäre. Aber das Bemühen um gute Lösungen ist erkennbar. Bemerkenswerte Kreuzungspunkte nach niederländischem Vorbild und hervorragende Fahrradstraßen sprechen eine eindeutige Sprache. Die aber (noch) nicht jeder versteht: das Verhalten der Autofahrenden, passt noch nicht immer zu einer waschechten Fahrradstadt. Und vielleicht wäre auch das zu viel verlangt.






Donauinsel als Radrevier
Es ist heiß an diesen Tagen im Juni, das Donauinsel-Festival steht unmittelbar bevor. Es handelt sich um das weltweit größte Festival dieser Art, das auf fast fünf Kilometern die Vorzüge der künstlich angelegten Insel im Fluss nutzt. Und auch Radfahrende profitieren von dem Hochwasserschutzbauwerk, durch das die Neue Donau, als Seitenarm des Flusses entstanden ist. Die Insel selbst ist 100 bis 250 Meter breit und über 20 Kilometer lang. Zahlreiche breite und gut unterhaltene Wege durchziehen die weitgehend autofreie Insel und machen sie zu einem beliebten innerstädtischen Ausflugsziel. Auf allen Seiten der Donauarme, findet man Möglichkeiten zur Einkehr und zum Aufenthalt. Das Ganze erinnert mich an die Flussinsel in Budapest und mehr noch an New York City. Denn auch am East- und am Hudson-River hat man entlang der Ufer großzügige Aufenthaltsbereiche angelegt (mehr dazu in der Serie über NYC). Abgerundet wird das Freizeitangebot durch zahlreiche Schwimmstellen, vielfach mit Pontons, die gerade bei den sommerlichen Temperaturen zur Abkühlung einladen. So oder so ähnlich, kenne ich das auch aus Kopenhagen.






Blaupause der Verkehrswende
Dass es so viele Entsprechungen zu anderen europäischen Städten und zum Beispiel auch NYC gibt, ist alles andere als ein Zufall. Die Lösungen sind da und werden untereinander kopiert, gechallenged und in einem Netzwerk von Experten in Sachen Radverkehr und Stadtraumgestaltung sowie Placemaking diskutiert und optimiert. Die Verkehrswende findet statt und man kann nicht nur, man soll sogar voneinander abschauen und lernen. Auch in deiner Stadt.
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PARIS – AUTOGERECHT WAR GESTERN
NEW YORK CITY (SERIE)