Das war ein spannendes Jahr vom Oktober 2023 und dem Beginn der Miete der 70 Jahre alten Tankstelle in der Kaiserstraße bis jetzt Ende November 2024, als das Popup Frankys zu Ende ging. Viele haben die Reise begleitet und einer davon ganz besonders intensiv. Stephan Lantow hat seine Masterarbeit über die Entwicklung geschrieben. Unter dem Titel Vom Nicht-Ort zu Frankys – Ethnografie des Wandels einer ehemaligen Tankstelle, hat er die Zwischennutzung behandelt und ist der Fragestellung auf den Grund gegangen: Wie gestaltet sich der Wandel der Tankstelle von einem Nicht-Ort zu einem anthropologischen Ort? Herausgekommen ist eine bemerkenswerte Arbeit, die Stephan auch bereits vor Ort Interessierten vorgestellt hat. Immer wieder berichte ich in persönlichen Gesprächen davon und es erreichen mich Fragen dazu. Ich bin froh, dass Stephan das Projekt auf diese Art und Weise begleitet und professionell beobachtet hat. Ich habe mit ihm dazu gesprochen.
Stephan, Du bist schon früh mit der Idee der Arbeit auf mich zugekommen. Damals wusste ich noch nichts von Un-Orten und Nicht-Orten. Das hast Du mir dann fix erklärt. Was verbirgt sich dahinter?
Ja, das klingt vielleicht ein bisschen sperrig und die Antwort vielleicht sogar auch. Un-Orte oder Nicht-Orte, sind Einrichtungen mit einem bestimmten Zweck. Die man von anthropologischen Orten abgrenzt – also Orte, die von Menschen für Menschen geschaffen wurden. Ich beziehe mich bei meiner Arbeit auf verschiedene Kulturwissenschaftler oder auch Soziologen. Marc Augé versteht zum Beispiel Transiträume wie Flughäfen oder Bahnhöfe, Orte, die im Rahmen von Infrastruktur entstanden sind – beispielsweise Tankstellen und Autobahnen, und Orte der Freizeit und des Konsums – wie Bars, Ferienhäuser oder Einkaufszentren – als Nicht-Orte. Die Übergänge zwischen Nicht-Ort und anthropologischem Ort, können dabei durchaus fließend sein.
Ein Begriff bzw. ein Terminus, den ich selbst immer wieder vergesse, ist der der teilnehmenden Beobachtung. Was hat es damit auf sich und wie muss man sich Deine Arbeit vorstellen?
Die teilnehmende Beobachtung geht über bloße Anwesenheit hinaus und unterscheidet sich von herkömmlicher Teilnahme durch das Protokollieren von Handlungen und Beobachtungen. Soll heißen: ich war dabei und mittendrin, anstatt nur zu beobachten. Natürlich entsteht dabei ein Spannungsfeld von Nähe und Distanz, das man im Blick behalten muss. Die teilnehmende Beobachtung – zum Beispiel als Helfer beim Bauwochenende oder als Besucher bei Veranstaltungen, wurde durch informelle Gespräche und Narrative Interviews ergänzt. Ich habe mit Menschen gesprochen, Nachbarn, Teilnehmenden und zum Beispiel ja auch mit Dir. Bei denen Du oder die anderen Interviewten berichtet haben. Das waren spannende Einblicke und Gespräche.
„Der Außenbereich der Tankstelle wirkt am sogenannten Bauwochenende etwas trostlos und heruntergekommen. Die Farbe am Flugdach blättert ab, auf dem ge- pfllasterten Vorplatz steht ein einsamer Bauwagen, die Folierung der Vornutzung befindet sich noch an den Scheiben des Tankstellengebäudes und das Rolltor zur alten, unbeheizten Waschhalle lässt sich nicht öffnen.“ Feldnotizen 19.01. zum Bauwochenende.
Du hast in Deiner Arbeit die Zwischennutzung behandelt und dabei mit dem „Dazwischen“ und Zwischenräumen beschäftigt. Was hat es damit auf sich und wie passt die Tankstelle da rein? Du hast ja schon gesagt, dass Tankstellen Nicht-Orte darstellen können.
Das Dazwischen bezeichnet, was zwischen den festgelegten Kategorien, Konzepten oder Zuständen existiert, und erforscht die Bedeutung dieser Zwischenräume für die kulturellen Dynamiken. Die Betrachtung von Zwischenräumen und deren Bedeutung im städtischen Kontext lässt sich auch auf die Entwicklung und Nutzung von Tankstellen übertragen. Diese Orte haben sich im Laufe der Zeit von rein funktionalen Einrichtungen zu potenziellen Räumen für Zwischennutzungen und kulturelle Transformationen gewandelt.
Mit der Schließung der Tankstelle 2018 begann hier eine Phase des Dazwischen, in der die Tankstelle Kaiserstraße verschiedene Zwischennutzungen erfuhr. Mit Pop-up-Restaurant, „Tanzstelle“ und Baubüro. Sie war aber wohl bereits vor ihrer Schließung der inoffizielle Treffpunkt im Quartier.
Zwischennutzungen bieten Möglichkeiten für die Stadtentwicklung, aber auch für Menschen und Gruppierungen. Du sprichst von „Möglichkeitsräumen“ die genutzt werden wollen und zu (persönlichen) Veränderungen führen.
Der Begriff des Möglichkeitsraums stammt aus der Entwicklungspsychologie und findet heute auch Anwendung in den Kulturwissenschaften, der Raumsoziologie sowie in den Bereichen Kunst, Architektur und Stadtplanung. Und Umnutzungen oder Zwischenutzungen schaffen Möglichkeiten.Allerdings lassen sich Räume für öffentliche und soziale Interaktionen nicht einfach schaffen; sie entstehen durch das Engagement der Bewohner*innen. Auf jeden Fall verändern Zwischennutzungen die Menschen, die sie durchgeführt haben. Das hast Du ja auch selbst gemerkt. Und Zwischennutzungen setzen wesentliche Impulse für prozessuale Stadtentwicklung und kodieren und programmieren bestehende Räume neu.
Du ordnest auch das Frankys ein dekodierst unter anderem die Symbolik und wie sich Menschen orientieren können. Das fand ich sehr spannend und hat mir die Augen für ungewollte Einstiegshürden geöffnet.
Es war gut zu sehen, dass die Gestaltung im Frankys organisch wächst. Nach jeder Veranstaltung oder Aktivität vor Ort verblieb etwas in der ehemaligen Tankstelle. Häufig wurden Dinge für die nächste Aktion angeschafft, besorgt, kamen, gingen oder blieben. Grundsätzlich müssen jetzt die Regeln und Verbote für jede Nutzung der Tankstelle Kaiserstraße neu ausgehandelt werden. Die Menschen können sich nicht mehr daran orientieren, wie sie sich an einer Tankstelle grundsätzlich zu verhalten haben. Der Wandel des Ortes ist an der Veränderung von einem selbsterklärenden Ort, der durch Piktogramme organisiert war, hin zu einem Ort ohne feste Regeln und Verbote ablesbar. Dabei entstehen unter Umständen aber auch neue, ungewollte Hürden. In diesem Fall für Menschen, die nicht viel mit Fahrrädern zu tun haben. Oder für FLINTA*-Personen, weil auch Fahrrad-Communities noch oft männlich dominiert sind.
Einige Gegenstände haben aus Deiner Sicht einen besonderen Stellenwert, hatte ich das Gefühl.
Ja, insbesondere die Holzbänke, die dort stand wo einst die Zapfsäulen waren eignen sich gut als Metapher für den Wandel vor Ort. An der als Funktionsort konzipierten Tankstelle steht auf einmal die Aufenthaltsqualität im Vordergrund.
Stephan, ich danke Dir für Deine Arbeit und die Einblicke hier. Für Interessierte haben wir die Arbeit zum Download zur Verfügung gestellt.