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Blogbeiträge

Reha, Roadtrip und Workation

Mit dem Auto quer durch Europa zu reisen und dabei Zeit zu haben, ist Luxus pur. Und im konkreten Fall auch Ergebnis intensiver Überlegungen zum Thema nachhaltiges Reisen. Und dem Bedürfnis entsprungen, zur Ruhe zu kommen und die Akkus aufzuladen. So etwas wie eine selbstbestimmte Reha-Maßmahme. Es ist bestimmt keine besonders originelle oder ungewöhnliche Idee, Winterwochen in Südspanien oder Portugal zu verbringen. Wir treffen auf unserer Reise einige, die vor dem kalten, dunklen Wetter in den Süden flüchten.
Das letzte Jahr war auf vielfältige Art und Weise gesundheitlich herausfordernd für mich. Der Tripp, der ganz bewusst ohne Flug und Hotel auskommen sollte, war eine Antwort auf den resultierenden Erholungsbedarf. Dass wir dann Barcelona zu Silvester erreichen würden, uns endlose und menschenleere Strände, lange Sonnentage aber auch Regen und klirrende Kälte erwarten würden, das wussten wir nicht. 

Rehabilitation

Dass es mir im vergangenen Jahr und schon einige Monate davor gesundheitlich nicht gut ging, ist ein offenes Geheimnis. So richtig bin ich den Ursachen nicht auf den Grund gekommen, wusste aber irgendwann, dass die Erholung Zeit braucht. Und so etwas wie eine „Reha“. Weil ich mich aber ungern in klassische Abläufe einer Maßnahme begebe, habe ich eine Auszeit als selbstbestimmte Alternative gewählt. Luxus ja, und gleichzeitig eigenverantwortlich sowie effizient aus Sicht des Gesundheitssystems.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Vorzeit auf einem Campingplatz in Südspanien, unmittelbar an der Grenze zu Portugal. Der Tagesablauf unterscheidet sich nicht so sehr von einer klassischen Reha: morgens Kneipp-Anwendungen (Bad im Meer), Bewegung (lange Spaziergänge am Strand), Intervallfasten (mittags die letzte Mahlzeit) und nach der Mittagsruhe wieder Bewegung (Rad fahren oder wandern). Die Umgebung ist reizarm (die touristischen Orte sind wie ausgestorben). Es regnet zwischendurch, auch wenn die Sonne Kraft hat wenn sie rauskommt und es länger hell ist: jetzt am Abend ist es doch recht kalt. 

Roadtrip

Und doch ist es mega! Bereits am zweiten Tag unserer Reise erreichen wir Barcelona. Wir suchen einen Campingplatz etwas außerhalb auf, den wir von einer vorherigen Reise kennen. Und radeln knapp fünfzehn Kilometer in die Stadt. Es ist Silvester und bereits früh dunkel. Was für ein Erlebnis, das diesjährige Feuerwerk am Strand der spanischen Stadt zu sehen. Das ist mehr als eine Entschädigung für den winterlich herunter gekommenen Schlafplatz und kalte Füße in unserem einfachen Camper.
Die Reise führt uns weiter nach Marbella, wo wir einen Freund besuchen. Wir stehen dort direkt bei ihm am Hafen und seinem Segelschiff, das er nach und nach fertig macht. Seine „42-Fuß-Yacht“ wie er scherzhaft betont.
Uns war nicht bewusst, dass wir in Spanien gleich schon wieder Weihnachten erleben würden. Am Vorabend der Bescherung am 6. Januar gibt es eine große, karnevalsähnliche Parade durch die Stadt. Es sind einige auswärtige Gäste hier, aber vor allen Dingen feiern wir mit den Einheimischen und genießen die aufgekratzte Vorfreude der Familien. Das alles erlebt man sicher bei einer gesundheitlichen Reha eher nicht. 

Workation

Der Jahreswechsel ist ja so eine Zeit, in der man zurückblickt und Pläne für das nächste Jahr macht. Meine Pläne wurden durch die Erkrankung ordentlich durcheinander gebracht. Und doch habe ich 2022 mein Buch nicht nur fertig gestellt, sondern auch veröffentlicht und einigermaßen erfolgreich promotet. Das Rad-Café hatte ich aufgeschoben und jetzt kommt es schneller als zu erwarten war. Das waren spannende und abwechslungsreiche Wochen vor dem Jahreswechsel und die Ruhephase kommt wie gerufen. Ich ziehe mich dann gerne fast vollständig auch aus den sozialen Kanälen zurück. Aber schon bald nach dem Jahreswechsel habe ich wieder Lust zu schreiben und die Vorbereitungen für das Pop-Up-Café voran zu treiben. Die Geschwindigkeit wird dabei allzuoft von der des W-LANs oder dessen mangelnder Verfügbarkeit bestimmt. Wirklich gut arbeiten kann ich hier nicht und das ist ja auch gar nicht der Anspruch. Aber weil mich die kommende Zeit schon innerlich beschäftigt, tut es gut und macht Spaß auch etwas dafür zu tun. Fast jeden Tag telefoniere ich mit irgendwem dazu. Dabei rauscht dann wahlweise das Meer oder der Regen auf dem Vorzeit oder Autodach.

Stichwort Workation / Workpacking

Es gibt ja so Ideen, die lösen sofort etwas in mir aus und setzen sich in meinem Kopf fest. Fast zeitgleich mit unserem Tripp, hat sich Gunnar Fehlau (Pressedienst Fahrrad) aufs Rad geschwungen und ist seit Anfang des Jahres unterwegs. Lebt, arbeitet und berichtet vom Lastend aus. „Vanille ohne Van“ schreibt er dazu und hat den Begriff Workpacking kreiert. Hier geht es zu seiner Webseite https://workpacking.de

„Nachhaltig“ mobil

Viele unserer Nachbarn haben unfassbar große Fahrzeuge, nehmen teilweise ihren halben Hausstand und einen PKW auf dem Anhänger mit. Komfort bringt man hier mit oder kommt mit dem klar, was eben da ist. Außer mit dem eigenen Auto bzw. Wohnmobil, ist die Anreise in Verbindung mit der Notwendigkeit zu übernachten kaum realisierbar. Das ist vielmehr der Standard, auf den alles ganzjährig ausgerichtet ist. Es sei denn man setzt sich in den Flieger. Und eben diese Pauschalreise-Kombi mit Flug und Hotel, zum Beispiel auf die Kanaren oder noch viel weiter entlegene Ziele, galt es zu vermeiden. Davon abgesehen, dass so ein Pauschalurlaub per se wenig bis gar keinen individuellen Spielraum lässt, schlägt neben der Anreise natürlich auch die Hotelübernachtung in Sachen CO2-Fußabdruck und Kosten zu Buche. Wir wussten nicht, was uns hier unten erwartet. Und das Winterhalbjahr und insbesondere der Januar zählen im Süden Europas nicht gerade zu den Wonnemonaten. Insgesamt sind wir mit der Wahl und dem Vorgehen aber zufrieden. Auch wenn es bedeutet, dass nicht durchgängig die Sonne scheint und man sich arrangieren muss. Campingurlaub halt, wie man ihn auch in einem durchwachsenen Sommer an der Nord- oder Ostsee verbringen kann.

Rentner „Kalle“

Unser VW Bus wurde schon 2015 in Rente geschickt: mein Arbeitgeber hat das Fahrzeug nach zehn Jahren aus dem Fuhrpark aussortiert. Und nach dem Renteneintritt hat „Kalle“ schon so manche Reise hinter sich gebracht. Es ging um die Ostsee – mit der Fähre nach Klaipeda und von dort entlang der polnischen Küste zurück nach Hause. Nach Prag und wieder zurück. Quasi von einem Tag auf den anderen im November nach Turin zur Bikepolo Europameisterschaft und ein Jahr später nach Perpignan. Von dort in einer Schleife über Barcelona, Andorra nach Bordeaux und Paris. Diesen Sommer haben wir einen lange geplanten und immer wieder verschobenen Italien-Tripp umgesetzt. Und jetzt also Portugal im Winter – die längste zusammenhängende Tour bislang.
Der Bus ist ein Werkstattfahrzeug und kommt sparsam und kompakt daher. Mir gefällt es es, dass der „Rentner“ bald volljährig wird und auf diese Art und Weise nachhaltig genutzt wird. Er verfügt über ein (zur Zeit nicht funktionsfähiges) Kassettenradio, hat dafür aber keine Klimaanlage, keinen Tempomaten und schon gar keine Standheizung. Nach einem verregneten Corona-Urlaub in der Kieler Bucht 2021, haben wir ein Vorzeit angeschafft, das sowohl im Sommer, aber vor allen Dingen – wie wir jetzt merken – bei kalten Außentemperaturen hervorragende Dienste leistet. Einmal umgebaut, kann man in dem Bus nämlich liegen oder liegen.

Anders reisen?

Neben vielen anderen Aspekten begeistert mich die Tatsache, dass das Fahrzeug uns diese Art des Reisens erlaubt – unabhängig, selbstbestimmt, spontan. Gleichzeitig mag ich die Reduzierung auf ein Minimum. Kein absolutes Minimum und weit weniger nachhaltig als eine Radreise, aber doch irgendwie vergleichbar. Wir wissen morgens oft nicht, wo wir abends landen. Wie weit wir fahren und wohin genau, entscheiden wir oft gemeinsam und aus dem Bauch heraus. Dass der Rhythmus des Tages vom Tageslicht und den Außentemperaturen bestimmt wird, ist ein deutlicher Unterschied zum Reisen mit einem größerem und modernen, echten Camper. Gerade dieser aktuelle Tripp zeigt mir – mit trotz allem kurzen Tagen und frischen Temperaturen – noch einmal eine ganz andere Seite auf. Bislang waren wir vorzugsweise in den (besser warmen) Sommerurlaub gefahren. Und trotzdem: auch wenn wir auf Flug, Hotel, oder ein neues Fahrzeug mit allen Annehmlichkeiten verzichten: die Bilanz dieser Reisen bleibt mit dem Verbrennen fossiler Energieträger negativ, der Luxus groß. Vielleicht sogar zu groß? Auch wenn zu Hause die Heizung dafür gerade ausgeschaltet bleibt.