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Blogbeiträge

Rad fahren mit Gegenwind

Hier an der Küste, wo das Land flach ist und die Deiche im Grunde die einzigen Erhöhungen darstellen, macht Rad fahren eigentlich gar keinen Sinn. Denn dort, wo man mit dem Velo keine Höhenmeter sammeln kann, ist im Grunde keine körperliche Aktivität möglich. Wäre da nicht, ja wäre da nicht, der Wind. Der kommt bekanntlich immer genau von vorne und bietet damit den eigentlichen Anlass für UreinwohnerInnen aufs Rad zu steigen. Immer häufiger jedoch sieht man Menschen, die mit der Windrichtung Fahrrad fahren. Und das auch noch gut finden. Sie kommen einem strahlend auf dem Rad entgegen, als würden sich tatsächlich Fahrrad fahren. Man möchte ihnen zurufen: „Hey, das ging doch früher auch ohne Rückenwind…“ aber dann sind sie meist schon vorbei geschossen. Sie erreichen ohnehin Geschwindigkeiten, die sie ansonsten aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen niemals erreichen würden. Viele sind alt und dick und ich frage offen: ist das noch Rad fahren?

Rad fahren in der Tiefebene

Rad fahren ist etwas für die Berge und dort eigentlich auch nur bergauf. Überall dort, wo es an Erhebungen unter 500 Metern mangeld, ist Rad fahren kaum sinnvoll möglich. In den Küstenregionen ist zum Glück der Wind manchmal stark genug, dass man dies als – sagen wir – Herausforderung nutzen kann. Rad fahren ist das natürlich nicht, aber besser als nichts. Und als Einheimischer kennt man die Zusammenhänge zwischen Ebbe und Flut sowie auf- und ablandigen Winden, die man sich zu Nutze machen kann, um längere Touren gegen den Wind zu planen. Es war schockierend für mich fest zu stellen, dass mancher Tourist diese Effekte nutzt um ganze Tagestouren mit Rückenwind zu fahren. Scheinbar werden es immer mehr. Und manch einer postet dann in den sozialen Netzwerken von seiner „Fahrradtour“ über 50, 60 oder mehr Kilometer. Dabei ist er nicht einen Meter mit dem Rad gefahren. Ich habe letzthin sogar einen „Radreisebericht“ gesehen, bei dem die Autoren mit der vorherrschenden Windrichtung von Nordwesten kommend durch die norddeutsche Tiefebene geradelt sind. Ich war schockiert und frage mich: setzt sich das jetzt durch? Ist Rad fahren am Ende etwas für Jedermann und geht es nur noch um den Spaß?

Slow Bicycle Movement

Die einzigen ernst zu nehmenden Radrennen werden ja nicht umsonst in den Bergen oder – gegen den Nordwest-Wind – in den Niederlanden ab Windstärke 10, besser 12 absolviert. Dies macht deutlich: „Rad fahren mit Rückenwind“ ist so, als würde man seine Wäsche nicht unten am Fluss, sondern in einer elektrischen Maschine waschen.. Das ist wie telefonieren mit einem Apparat anstatt mit einer Dose und Schnur. Es ist wie eine E-Mail anstatt ein Fax zu schicken. Kurz: Rad fahren mit Rückenwind ist kein Rad fahren. Schon gar nicht, wenn es Spaß macht.
Rad fahren ist Anstrengung, Rad fahren ist Herausforderung. Echte Radfahrer müssen sich daher abgrenzen, so wie sich alle abgrenzen. Wer nicht gegen den Wind fahren kann und will, soll doch zu Hause bleiben. Wer Freude oder Spaß empfinden will, soll das bitte gegen den Wind tun oder ein anderes Fortbewegungsmittel nutzen. Er könnte zum Beispiel sportlich Auto fahren oder mit einem Roller in der Stadt.

Und dann habe ich zuletzt auch noch eine Werbeanzeige gesehen. Für Fahrräder „mit eingebautem Rückenwind“. Und jetzt weiß ich auch nicht…