Rad fahren ist für viele immer noch eine Freizeitaktivität. Begriffe wie „Fahrradsaison“ legen nahe, dass man das Fahrrad nur unter geeigneten Umständen benutzen kann. Ohnehin ist Sprache ein geeignetes Mittel, um die Wahrnehmung zu beeinflussen. Ist von „schwachen Verkehrsteilnehmern“ die Rede, scheint es so das diese besonders auf sich aufpassen müssten. Und vielleicht will in einer Leistungsgesellschaft auch keiner zu den Schwächeren gehören. Neben der Sprache ist die gesellschaftliche Wahrnehmung ein weiterer Faktor der Einfluss hat: wer Ende der 70iger/Anfang der 80iger in Deutschland Fahrrad fuhr, hatte entweder kein Geld oder seinen Führerschein verloren. Oder hat halt Radsport betrieben. „Wir werden bald auf dem Dach und dem Heck unserer Autos Fahrradgestelle haben – wie heute Skihalter“ prognostiziert der Autor eines Buches „Mit dem Fahrrad unterwegs“ von 1975.
Und doch ist Fahrrad fahren so viel mehr. Wenn ich versuche es zu beschreiben, erscheinen mir die Sätze und Formulierungen fast poetisch.
Einfach Rad fahren
Unterwegs mit dem Rad, ich fühle den Wind im Gesicht und auf der Haut an den Armen und Beinen, die Wärme der Sonne im Sommer und im Winter die beißende Kälte. Am liebsten mag ich die Fahrten am Morgen, wenn die Sonne gerade aufgeht und es noch kalt ist, aber das Versprechen eines Frühlings- oder Herbsttages in der Luft liegt. Frische Luft strömt in meine Lungen und ich habe das Gefühl, ich könnte die ganze Welt einatmen. Rad fahren bedeutet für mich, mit allen Sinnen erleben zu können. Ich rieche das frisch gemachte Heu im Herbst und im Sommer oder die Frühlingsblumen und den Wald ebenso wie das Watt oder die Salzwiesen der Nordsee. Bei uns mischt sich gerne zu unpassenden Zeiten der Geruch von Weihnachtsgebäck aus der örtlichen Keksfabrik darunter. Wenn es regnet dampfen vielleicht die Straßen oder ein modrig-schöner Geruch liegt in der Luft. Auf den Wiesen sehe ich auf dem Weg zur Arbeit Störche. Etwas weiter vorne kreuzen ein paar Rehe die schmale Straße, die vielleicht so früh noch nicht mit einem Reisenden gerechnet haben. Der fast lautlos dahin gleitet. Nebel schwebt über den Weiden und hängt zwischen den Bäumen der Alleen. Irgendwo knirscht auf einigen Metern Schotter unter meinen Reifen, im Winter ist es der Schnee. Wenn ich stehen bleibe, ist es hier draußen absolut still. Irgendwo in der Ferne höre ich eine Kuh rufen. Fahrrad fahren ist voller sinnlicher Eindrücke, Geräusche, Gerüche, Eindrücke, Wärme und Kälte, Sonne, Wind, Regen, Nebel und Schnee. Und ich mittendrin.
Wenn ich Rad fahre, merke ich schon nach wenigen Minuten eine Veränderung. Körperlich durch die gleichmäßige Bewegung und auch mental. Durch die Fülle unterschiedlicher Eindrücke einerseits und eine innere Veränderung andererseits. Ich komme im wahrsten Sinne des Wortes auf andere Gedanken und meine Muskeln und der ganze Körper in Bewegung. Dafür muss ich gar nicht schnell oder sportlich-ambitioniert unterwegs sein. Im Gegenteil: beim wenig anstrengenden Dahingleiten, bei einem gleichmäßigen Puls und ohne dabei wirklich ins Schwitzen zu kommen, ist der angenehme Effekt am größten. Rad fahren hat dann etwas beruhigendes, etwas spirituelles, fast meditatives. Nachweislich kommt das Gehirn nach ungefähr 30 Minuten gleichmäßiger Bewegung bei einem Puls bis 120 Schlägen pro Minute in einen anderen Verarbeitungsmodus. Ein Effekt, den man sich auf verschiedene Art und Weise zunutze machen kann – medizinisch, therapeutisch ebenso wie zum Beispiel für kreative Prozesse. Vor allen Dingen dann, wenn man diesem Modus über die erste halbe Stunde hinaus aufrecht erhält und einfach weiter fährt. Ein Großteil meines Buchmanuskripts ist in Gedanken auf dem Rad oder in einem guten Wechsel aus Bewegung und Schreiben entstanden.
Ich bewege mich aus eigener Kraft durch Zeit und Raum und das gibt mir ein unverfälschtes Gefühl von Distanzen und Körperlichkeit. Über den Weg unter mir, den Lenker des Fahrrades, durch die Bäume und über die Wiesen sehe ich den Horizont oder Berge und vielleicht schon mein Ziel, dass ich erreichen möchte. Und das völlig unabhängig davon, ob das der Bahnhof auf dem Weg zur Arbeit ist oder die Kirche des nächsten Ortes auf einer langen, mehrtägigen Radreise. Und selbst ohne Ziel oder Zwischenstation gleiten Rad und Gedanken dahin. Ich habe dann ein starkes Gefühl von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Fahre ich zu zweit oder in der Gruppe, sind die Gespräche meist tief und reflektiert oder auf eine angenehme Art belanglos. Und fast immer spielt dabei die Gleichmäßigkeit der Bewegung und das Erleben der Umgebung und ihrer unmittelbaren Einflüsse auf den eigenen Körper eine Rolle.
Egal ob lange mehrtägige Tour oder die Fahrt zur Arbeit oder zum Bäcker: Rad fahren ist irgendwie grenzenlos.
Per Rad: immer und überall
Und auch die Stadt per Rad ist voller Eindrücke und Abwechslung. Der Geruch von frischem Brot und Brötchen flutet die Straße, wenn ich an der Bäckerei vorbei komme. Oder die Gerüche des Marktes erinnern mich an frisches, selbst gemachtes Essen, an Ernte. Mittlerweile gibt es bei uns vor Ort wieder einen Gemüsebauern und ich kann auf meinem täglichen Weg die landwirtschaftliche Arbeit sehen und erleben. Im Sommer scheint die Luft über dem Asphalt zu stehen und im Winter pfeift der kalte Wind um die Ecken der Häuser und trifft mich unerwartet hart von der Seite. Und es gibt noch mehr zu erleben, ich bin nicht allein. Da wo das möglich ist, begegnen sich alle auf Augenhöhe, jeder geht und fährt seiner Wege und doch sind wir Teil eines Ganzen. Ich höre Gesprächsfetzen und mache mich beim Überholen leise bemerkbar. Da wo sich Wege kreuzen treffen sich Blicke und in stummer Übereinkunft wird die Weiterfahrt geregelt. Dabei kommen sich die Menschen so nah, dass sie nur den Arm ausstrecken müssten, um sich gegenseitig zu berühren. Das gesprochene Wort erreicht den anderen ohne das es laut artikuliert werden müsste. Rad zu fahren, ist eine angenehme Herausforderung und als Gleicher unter Gleichen Straßenverkehr zu erleben, ist ein grandioses Gefühl.
Kalte Finger, Wind, Regen, Schnee? Man merkt immer, dass man draußen und in Bewegung ist. Ein Gefühl, dass ich um nichts auf der Welt missen möchte.
Spätestens an dieser Stelle, dürfte der Eine oder die Andere aus meiner fast romantischen Beschreibung ausgestiegen sein. Vielleicht auch schon viel früher, zum Beispiel beim Gedanken an kalte Fingerkuppen im Winter oder schmerzende Beine bei Gegenwind und Steigungen. Aber Augenhöhe und das Gefühl von Gleichheit? Wo gibt es so etwas, könnte man fragen. Und die Antwort ist bestechend einfach: da wo Verkehr und insbesondere Radverkehr auf diese Art organisiert, geschützt und vereinbart wird. In Städten wie Amsterdam, Kopenhagen oder Groningen zum Beispiel. Dort kann man es beobachten und mit ein bisschen Übung selbst erleben. Von diesem Erleben sind wir vielerorts allerdings weit entfernt. Und auch deswegen habe ich mich bemüht, meine Gefühle und mein Empfinden auf dem Rad so gut es eben geht in Worte zu fassen. Weil in diesem Mangel an Erlebnis meines Erachtens eine der Ursachen dafür liegt, dass wir nicht Rad fahren. Uns begegnet häufig genug Ungleichheit, Gefahr, Lautstärke und Geschwindigkeit. Unsicherheit oder Leichtigkeit hat in unseren Städte und auch jenseits der Stadtgrenzen häufig keinen Platz. Und während wir keinen Sinn für das gemeinsame entwickeln können, sind Angst und Gefahr für uns häufig greifbar und objektiv begründbar. Rad fahren ist dann nicht nur anstrengend und die Situation unübersichtlich, sondern regelrecht gefährlich. Und auch körperliche Grenzen, zum Beispiel durch Wärme, Kälte oder Steigungen und Wind werden uns unmissverständlich vor Augen geführt.
Und dennoch können wir sowohl Sicherheit und Gleichheit auch hierzulande erleben. Genauso wie wir körperliche Grenzen und Herausforderungen überwinden können.
Gemeinsam und geschlossen: Critical Mass, Kidical Mass und Fahrrad-Demos fordern vermeintlich, was sie unmittelbar für die Teilnehmer selbst bieten. Schutz, Gemeinschaftsgefühl, Erleben auf dem Rad und in der Gruppe. Verkehr sollte Gleichheit und Augenhöhe ermöglichen – mit dem Rad geht das.
Auf Augenhöhe? Geht mit dem Rad
Der Wunsch, geschützt und sicher, mit uneingeschränkt positivem Erlebnis und vielleicht auch in der Gruppe Rad zu fahren, scheint bei vielen Menschen ausgeprägt zu sein. Auch wenn es hierzulande nur wenige Möglichkeiten gibt, erfreuen sich zum Beispiel ausgewiesene Radrouten vor allen Dingen bei Touristen großer Beliebtheit. Radtourismus liegt schon seit vielen Jahren im Trend und es ist ein Bemühen erkennbar, lange, zusammenhängende und sichere bzw. attraktive Radrouten auszuweisen und zu unterhalten. Und auch dieses Bemühen, trifft im Zweifelsfall irgendwann auf die harte Realität der Verkehrsplanung und unterschiedlicher Bedürfnisse. Und dann enden Streckenabschnitte, die exklusiv für den Rad- und Freizeitverkehr vorgesehen sind und Schutz- und Rückzugsräume bieten an Hauptverkehrsstraßen mit schlechter oder mangelnder Infrastruktur für Radfahrer.
Infrastruktur, also Radwege, Radrouten, Fahrstreifen usw. stehen vielleicht auch deshalb häufig im Mittelpunkt technisch und sachlich orientierter Diskussionen. Obgleich sie aus meiner Sicht lediglich Mittel zum Zweck für ein positives und vor allen Dingen sicheres Raderlebnis sind. Ironischerweise werden Radproteste und -intiativen mit diesen konkreten thematischen Diskussionen in Verbindung gebracht, obgleich sie tatsächlich zunächst einmal für sich genommen das Erlebnis ermöglichen, das unter Umständen so kläglich vermisst wird. Nämlich gemeinsam, sicher, mit dem Gefühl der Verbundenheit untereinander und geschlossen Rad zu fahren.
Mir fallen nicht viele natürliche „Gegner“ ein, die ähnlich schnell, schwer und unberechenbar sind wie ein handelsübliches Auto.
Der menschliche Körper ist für gleichmäßige und lang anhaltende Bewegung ausgelegt. Hast Du manchmal das Gefühl, Du müsstest Dich viel mehr bewegen im Verlaufe des Tages? Reicht Dir die Bewegung durch Sport – im Sinne von Training – oft nicht aus, um diesem Gefühl entgegen zu wirken? Dieses Gefühl trügt nicht: aktuelle Untersuchungen legen nahe, dass sportliche Betätigung das Bewegungsdefizit nicht ausgleichen. Und entwicklungsphysiologisch macht der Wunsch nach nahezu dauerhafter Bewegung durchaus Sinn. Waren wir doch als Jäger und Sammler vor allen Dingen darauf angewiesen uns zu bewegen um Nahrung zu finden oder unserer Beute nachzustellen – stundenlang und jeden Tag aufs Neue.
In unserer modernen Gesellschaft ist dauerhafte Bewegung nicht mehr nur nicht notwendig, sondern in vielen Belangen scheint sie auch störend. Sich dauerhaft zu bewegen, gehört nur noch in wenigen Berufsfeldern dazu und selbst in der Freizeit hängen wir einer mit etwas Distanz durchaus als seltsam erkennbaren Vorstellung von Effizienz nach: Wir fahren mit dem Auto ins Fitnesssudio, zum Spaziergang mit dem Hund, beinahe buchstäblich mit dem Fahrstuhl zum Stepper ins Fitnessstudio. Aber auch fernab solcher bemerkenswerten Verhaltensweisen stehen zu Fuß gehen und Rad fahren bei Vielen nicht hoch im Kurs. Sicher gibt es auch hier geschlechts- und altersspezifische Unterschiede in der Summe zeigt sich aber alleine anhand der breiten Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder strukturellem Übergewicht in vielen Bevölkerungsschichten die Auswirkungen mangelnder, dauerhafter Bewegung.
Bewegung liegt in unserer Natur
In diesem Zusammenhang möchte ich weniger auf die positiven gesundheitlichen Auswirkungen des Rad fahrens eingehen oder gar auf die Unterschiede zum Autofahren, das mit nahezu Null Bewegung einhergeht. Dies scheint mir hinreichend durch andere Veröffentlichungen und Untersuchungen beschrieben und belegt. Ich möchte hier auf den menschlichen Aspekt eingehen, den Wunsch und den Bedarf sich zu bewegen und die Einschränkungen, die ein weit verbreiteter Lebensstil und gesellschaftliche Erwartungshaltungen mit sich bringen. Mir ist das vor allen Dingen auch durch eine schwere demenzielle Erkrankung im engsten Familienkreis bewusst geworden. Mit fortschreitender Erkrankung und Verlust der kognitiven Leistungsfähigkeit, fing die betreffende Person an zu laufen. Stundenlang am Tag und ohne Richtung oder Ziel. Zunächst zu Hause und im häuslichen Umfeld und später in einer spezialisierten Einrichtung, die baulich auf diese Erscheinung vorbereitet war. Denn es handelt sich um eine klassische Begleiterscheinung der Demenzerkrankung, die daraus resultiert, dass der Körper dem natürlichen Impuls folgt, während das Bewusstsein keine Gründe gegen diese Bewegung formuliert. Weil es krankheitsbedingt in wesentlichen Teilen außer Funktion gesetzt wurde. Nun könnte man diese Begleiterscheinung als pathologisch betrachten und vor allen Dingen den Verlust des Kognitiven bedauern. Andersherum stellt sich die Frage: wenn der Körper den Impuls hat sich zu bewegen – wie schaffen wir es diese Bewegung in den Alltag zu integrieren?
Ich selbst habe das Bewegungsdefizit auch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ich war gerade einmal Anfang 30 und ein junger Ingenieur, der vor allen Dingen im Sitzen arbeitete und knapp 40 tausend Kilometer im Jahr Auto fuhr, als ich chronische Rückenschmerzen und später die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls bekam. Ich bin dann aufs Fahrrad umgestiegen und haben vor allen Dingen den Weg zur Arbeit mit Rad und Bahn zurückgelegt. Das war einer von mehreren Bausteinen, um letztlich über Jahre beschwerdefrei zu werden.
Das suchen wir und davon träumen wir: geschützte – man sagt: wenig befahrene – Strecken und meint, Straßen wo man gefahrlos zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein kann.
Wenn ich heute mit dem Fahrrad unterwegs bin, merke ich recht bald die positiven Auswirkungen auf meinen Körper und ich behaupte, selbst das Gefühl im Kopf realisieren zu können, wenn sich Verarbeitung im Gehirn umstellt und auf andere Areale verlagert. Oft spricht man davon, beim Laufen oder Rad fahren „den Kopf frei zu bekommen“ und liegt auch damit instinktiv richtig. Diese Zusammenhänge kann man sich zu Nutze machen und zum Beispiel in geeigneter Form in entsprechende Formate integrieren. Oder man integriert andersherum diese Art der gleichmäßigen Bewegung in den Alltag, zum Beispiel auf dem Weg von und zur Arbeit, Freizeitaktivitäten oder Erledigungen. Wenn es gelingt, die positiven Auswirkungen der Bewegung auf den Körper und Geist zu fokussieren und bewusst wahrzunehmen, dann hat diese Art der gleichmäßigen Bewegung fast schon etwas meditatives. Ein Spaziergang, das zu Fuß zum Einkaufen gehen oder die Ausfahrt mit dem Rad, wird dann zu bewussten Ausbrechen aus scheinbar vorherbestimmten Mustern. Gleichzeitig hat die Bewegung natürlich positiven Einfluss auf den Körper selbst, das Herz-Kreislauf-System u.v.m.
Es ist dieses bewusste Erleben von Bewegung und ihrer Integration in alltägliche Abläufe, die aus meiner Sicht einen entscheidenden Unterschied ausmachen. Sie erlauben eine zutiefst körperlich-geistige Resonanz, die uns bei vielen anderen Betätigungen verwehrt bleibt. Gleichzeitig spielt sich dieses Erleben jenseits und weitestgehend unabhängig von äußeren Bewertungsmaßstäben ab. Dauerhafte, gleichmäßige Bewegung und ihre positiven Auswirkungen auf unseren Organismus sind unabhängig von unserer Weltanschauung, politischer Einordnung zum Beispiel auch des Radverkehrs oder wirtschaftlicher Fragestellungen wirksam.
Rad fahren ist in idealer Weise dazu geeignet, Bewegung in den Alltag von Menschen zu integrieren. Und zwar völlig unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungsstand oder sozialer Herkunft. Rad fahren gehört neben dem zu Fuß gehen zu den erschwinglichsten und am besten verfügbaren Fortbewegungsoptionen. Ja, das Fahrrad ist ein Verkehrsmittel und wird dennoch vielfach als reines Sportgerät wahrgenommen. Und doch ist Rad fahren weit mehr als das eine oder das andere. Wenn es gelingt Radverkehr so zu gestalten, dass die objektive Gefahr zum Beispiel durch Autoverkehr minimiert wird, lässt sich das gesamte positive Potenzial des Rad fahrens heben. Und dies reicht, wie man an verschiedenen Orten der Welt beobachten kann, weit über den einzelnen Menschen hinaus. Rad fahren kann dann Interaktion in der Gruppe und zwischen Menschen bedeuten und das Bild von Miteinander und damit von Gesellschaft prägen.
Dort wo es gelingt, Radverkehr effektiv zu fördern und eine Vielzahl von Wegen auf das Fahrrad zu verlagern, kann man beobachten, dass die unterschiedlichsten Menschen Rad fahren. Ältere ebenso wie junge, Frauen und Männer, für alltägliches, berufliches und in der Freizeit. Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit das Rades als Fortbewegungsmittel spiegelt sich dann in der Nutzung und im Straßenbild wider. Ein Effekt, der sich auch auf die Wahrnehmung von Gesellschaft und dem Empfinden von Gleichheit niederschlägt. Fast überall in den Niederlanden gehört das Fahrrad als fester Bestandteil des Alltagslebens zum Straßenbild dazu. Saskia Kluit, damals Vorsitzende des Niederländischen Fietsersbond formuliert es im Interview so: „Cycling builts trust in society in bigger scale.“ (Doku „Why we Cycle“)
Nachdem ich die Doku „Why We Cycle“ geschaut habe, dachte ich es wäre leicht ein Buch darüber zu schreiben, warum wir, im Gegensatz zu den Niederländern, nicht Rad fahren. http://whywecycle.eu
Was ist, wenn man dieses Gefühl aber nicht erleben kann? Was, wenn der Zugang zu einem vertrauensvollen Miteinander verbaut ist? Es ist ein bisschen so wie bei der Fahrt mit einem E-Bike oder Pedelec: man muss sich nicht einmal dagegen sperren so ein Fahrrad auszuprobieren – erst wenn ich die ersten Meter damit gefahren bin, verstehe ich die Begeisterung und erkenne die Möglichkeiten. Fahrradfreundliche Rahmenbedingungen sind ungleich schwerer „erfahrbar“. Natürlich kann man Städte und Länder besuchen, in denen das Rad fahren zum Alltag und entsprechenden Infrastruktur zum Standard gehört. Aber wer nimmt diese punktuelle Erfahrung mit nach Hause und versucht daraus etwas für sich zu entwickeln. Und ist es nicht vielmehr frustrierend zu erkennen, wie weit unter Umständen der Weg in diese Lösungswelt ist. Viele reiben sich hierzulande daran auf, dass das was einfach zu erreichen scheint so lange so weit weg und faktisch unerreichbar bleibt. Und anstatt Gleichheit und Sicherheit zu erfahren, erleben wir hierzulande oft Ungleichheit und tatsächlich auch Gefahr. Ich kann ein Buch über das Erleben von Bewegung und die positiven Auswirkungen des Radfahrens schreiben und auf dem Weg nach Hause bei erster Gelegenheit von einem LKW in einer unübersichtlichen Kurve überholt werden. Dabei muss mir nicht einmal etwas passieren oder ich unmittelbar in Bedrängnis geraten: das Gefühl von ungleichen Verhältnissen und der mangelnden Berücksichtigung meines Bedürfnisses unverletzt zu bleiben, stellt sich völlig unabhängig davon ein.