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Blogbeiträge / Buchprojekt

Emanzipation und Diversität

„Das Fahrrad hat mehr für die Emanzipation der Frauen getan, als irgendetwas sonst auf der Welt.“ Dieses Zitat wird der Frauenrechtsaktivistin Susan B. Anthony zugeschrieben. Fahrräder wirken emanzipatorisch und man kann es bis heute beobachten. An vielen Orten auf dieser Welt ist das Fahrrad noch heute das Vehikel für mehr Gleichstellung und vor allen Dingen effektives Transport- und Verkehrsmittel für Frauen. Und genau wie zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Frauen für Gleichberechtigung kämpften, ist die Rad fahrende Frau gleichzeitig eine Art Statement, für Konservative gar eine Provokation. 

Zu beobachten ist die emanzipatorische Wirkung in Arabischen Ländern, beim sogenannten „Purple Ride“ in türkischen Städten aber auch bei Gang artigen Frauengruppen z.B. in Los Angeles. Dort bietet die Gruppe einen gewissen Schutz und Identifikation. Außerdem ist man ganz schlicht mit dem Fahrrad schneller und flexibler, als alleine und zu Fuß – und damit ein ganzes Stück sicherer. 

Fahrrad fahren ist an und für sich eine recht schlichte Art sich fortzubewegen. Die Emanzipation begründet sich auch in der Effizienz und Erschwinglichkeit der Maschine Fahrrad. Nicht jeder kann sich überall auf der Welt ohne Weiteres ein Fahrrad leisten und dennoch ist es deutlich eher erreichbar als zum Beispiel ein Auto für das man zudem einen Führerschein braucht. Gleichzeitig erhöht sich der Aktionsradius mit dem Rad erheblich. Im Grunde ist eine Fahrt mit dem Rad unbegrenzt. Vielleicht ist es auch dieses Gefühl der „grenzenlosen Freiheit“, das Menschen und vor allen Dingen auch Frauen dazu veranlasst einfach los zu radeln. Ich war erstaunt als Anselm Pahnke auf die Frage einer Zuschauerin zu seinem Film „Anderswo. Allein in Afrika“ auf Anhieb eine Handvoll Frauen aufzählen konnte, die wie er mit dem Rad auf der Welt unterwegs sind und waren. Die Frage zielte darauf ab, ob eine solche Radtour – ohne festes Ziel und alleine – auch für Frauen sicher und möglich ist. „Puschbikegirl“ Heike Pirngruber, selbst Soloradlerin, hat auf ihrem Blog ein paar Geschichten eben solcher Frauen gesammelt. Die oft seit Jahren unterwegs sind und bei denen teils kein Ende in Sicht ist. Geschichten, die insofern schwer zu fassen sind, weil sie keinen Anfang und kein Ende haben, weil es nicht darum geht „etwas zu erreichen“ oder zu beweisen. Ich selbst hatte Eineige Schwierigkeiten die Geschichte von Marie einzufangen.

Städte für Frauen

Städte für Menschen, sollten vor allen Dingen auch eines sein: Städte für Frauen. Es ist erstaunlich, wie sehr die Belange und Bedürfnisse von Frauen insgesamt und auch in Bezug auf Stadtplanung, alltägliche Wege und Erfordernisse unberücksichtigt bleiben. Gleichzeitig können wir feststellen, dass in vielen Städten mit hohem Radverkehrsanteil wie Kopenhagen oder Amsterdam im Verhältnis sehr viel mehr Frauen Rad fahren als anderswo. Teilweise übersteigt dieser Anteil sogar den der Frauen an der Bevölkerung, während er andernorts mit Mühe und Not zweistellig ist – genau wie der Anteil des Radverkehrs an den täglichen Wegen selbst. Vielleicht ist dies mehr als eine Korrelation oder ein sich selbst verstärkender Effekt. Kann es sein, dass in der Berücksichtigung von Frauen  und ihrer spezifischen Bedürfnisse eine Art Schlüssel für die Fahrradfreundliche Stadt bzw. die „Stadt der kurzen Wege“ liegt? Diskutieren wir am Ende völlig am Thema vorbei, wenn wir uns vor allen Dingen über die Ausgestaltung der Infrastruktur oder Veränderungen des Modal Split unterhalten? Sollten wir uns bei der Suche nach den besten und übertragbaren Lösungen vor allen Dingen um die Bedürfnisse der Frauen kümmern und entsprechende Datenlücken dringend schließen?

Das Buch „Unsichtbare Frauen“ war für mich mindblowing. Ich habe es quasi verschlungen und weiter in Richtung Gender Data Gap recherchiert. Ich glaube, dass fahrradfeundliche Städte vor allen Dingen auch solche sind, die gelernt haben die Bedürfnisse von Frauen im Besonderen und möglichst vieler Bevölkerungsgruppen insgesamt zu berücksichtigen.

Das Buch „Unsichtbare Frauen“ war für mich mindblowing. Ich habe es quasi verschlungen und weiter in Richtung Gender Data Gap recherchiert. Ich glaube, dass fahrradfeundliche Städte vor allen Dingen auch solche sind, die gelernt haben die Bedürfnisse von Frauen im Besonderen und möglichst vieler Bevölkerungsgruppen insgesamt zu berücksichtigen.

Gender Data Gap

Die Gründe für das so genannte Gender Data Gap sind vielfältig. Und haben vor allen Dingen damit zu tun, dass die Bedürfnisse von Frauen strukturell vernachlässigt werden. Männer sind in aller Regel der Maßstab des Handelns und der Planung und es sind vor allen Dingen auch Männer die für Planungen, Investitionen und Maßstäbe verantwortlich sind. Diese Zusammenhänge lassen sich an vielen verschiedenen Beispielen des alltäglichen Lebens nachvollziehen und eben auch bei Fragen des Verkehrs, der Mobilität und damit der Stadtplanung. Frauen übernehmen einen Großteil der so genannten Care-Arbeit, das sind die Tätigkeiten die im Wesentlichen unbezahlt für Erziehung, Betreuung und im Haushalt bzw. ehrenamtlich erbracht werden. Weil das so ist, haben Frauen in aller Regel eine Vielzahl von Verpflichtungen und im Schnitt mehr Wege am Tag bei vergleichsweise geringeren Strecken oder sagen wir Radien. Denn nicht überall bedeutet ein kleinerer Aktionsradius auch tatsächlich kürzere Strecken. Gerade der Nahverkehr, der darüber hinaus oft weit überwiegend von Frauen genutzt wird, zum Beispiel, orientiert sich vielerorts an den Bedürfnissen von Berufspendlern und führt aus den Außenbereich sternförmig ins Zentrum. An und für sich kurze Strecken wie sie die Care-Arbeit mit sich bringt, sind dadurch häufig zeitlich, bzw. auch von der Wegstrecke länger als sie sein müssten. In Verbindung mit Teil- statt Vollzeitbeschäftigung sind die Herausforderungen, denen sich Frauen gegenüber sehen, häufig sehr viel kleinteiliger, individueller und komplexer als bei Männern. Natürlich gibt es auch Männer in Teilzeitbeschäftigung und mit umfangreichen Care-Verpflichtungen – der Regelfall ist aber immer noch der in Vollzeit beschäftigte Mann und die klassische Aufgabenteilung, die in der Hauptsache bei Frauen den Koordinationsaufwand bedeutet. 

Mehr Ungleichgewicht passt nicht in ein Bild: wer sich hier als Radfahrer auf dem Linksabbieger neben LKW und Autos wohl und sicher fühlt, muss schon einige objektive Faktoren ignorieren können.

Mehr Ungleichgewicht passt nicht in ein Bild: wer sich hier als Radfahrer auf dem Linksabbieger neben LKW und Autos wohl und sicher fühlt, muss schon einige objektive Faktoren ignorieren können.

Care Arbeit

Neben anderen Maßnahmen, z.B. zur ortsnahen Versorgung in Stadtteilen, also auch fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, nahe gelegene Kinderbetreuungseinrichtungen und auch Schulen bzw. der Möglichkeit in der Nähe zu arbeiten, stellt das Fahrrad an sich eine gute Möglichkeit dar, die verschiedenen Verpflichtungen und damit verbundenen Wege miteinander zu verknüpfen. Die Stadt der kurzen Wege hat mit dem Fahrrad eine ideale Ergänzung zum zu Fuß gehen. Oft sind aber nicht nur die vorgenannten Bedingungen kaum oder nur unzureichend erfüllt, sondern Frauen entscheiden sich bewusst gegen die Nutzung des Fahrrades und zwar nicht nur weil die Strecken zu lang sind, oder eine sinnvolle Verknüpfung der Wege aus anderen Gründen nicht möglich ist (zum Beispiel weil Einkaufsmöglichkeiten und Betreuungsangebot zu weit auseinander bzw. entgegen gesetzt liegen). Ein Grund könnte die mangelnde objektive oder subjektiv empfundene Sicherheit sein. Selbst wenn rein statistisch (Unfallgeschehen, Unfallhäufigkeit) kein erhöhtes Risiko besteht, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass es in einer vom Auto dominierten Stadt nicht selten zu Beinaheunfällen kommt, die in objektiven Betrachtungen nahezu gar nicht vorkommen. Umso mehr Wege man zurücklegt, umso häufiger nimmt man ggf. diese Situationen wahr. Oft übernehmen Frauen auch die Verantwortung für Kinder (unmittelbar durch Begleitung und Fahrdienste oder mittelbar durch die Erlaubnis Strecken selbstständig zurück zu legen) oder ältere Erwachsene, die sie betreuen. Dies mag das Gefühl für Sicherheit im Verkehr noch weiter in den negativen Bereich verschieben, als dies vielleicht bei einer rein persönlichen Betrachtung der Fall wäre. Liz Canning legt in ihrer eindrucksvollen Dokumentation „Motherload“ dar, dass amerikanische Frauen mehr Zeit damit verbringen ihre Kinder mit dem Auto zu chauffieren, als sich spielerisch mit ihnen zu beschäftigen. Vor dem Hintergrund einer entsprechenden persönlichen Risikobewertung für sich und Schutzbefohlene macht dieses Verhalten, das sich ggf. gegenseitig gesellschaftlich verstärkt unter Umständen durchaus Sinn. Denn umso mehr Fahrten auf das Auto verlagert werden, umso unsicherer werden die Bedingungen im Verkehr. Und umso weniger diese Zusammenhänge – und damit der Lebensumstände und den daraus resultierenden Bedürfnissen von Frauen – berücksichtigt werden, umso gravierender werden die negativen Folgen.

Im Niederländischen Groningen sind so viele Menschen und anteilig auch Frauen unterwegs, dass ich mich gefragt habe ob nicht folgendes bei der Entwicklung seit den 70iger Jahren eine Rolle gespielt hat: Frauen, die mit dem Rad unterwegs sind, sind flexibel, unabhängig und selbstbestimmt. Und nicht nur wegen der großen Anzahl nicht ohne weiteres Opfer von „Anmache“ – unangemessener Ansprache – oder übergriffigem Verhalten. Mag sein, dass viele Frauen diese Vorteile nur unbewusst erleben, während anderen (in anderen Orten dieser Welt) diese Erfahrung gar nicht möglich ist.

Im Niederländischen Groningen sind so viele Menschen und anteilig auch Frauen unterwegs, dass ich mich gefragt habe ob nicht folgendes bei der Entwicklung seit den 70iger Jahren eine Rolle gespielt hat: Frauen, die mit dem Rad unterwegs sind, sind flexibel, unabhängig und selbstbestimmt. Und nicht nur wegen der großen Anzahl nicht ohne weiteres Opfer von „Anmache“ – unangemessener Ansprache – oder übergriffigem Verhalten. Mag sein, dass viele Frauen diese Vorteile nur unbewusst erleben, während anderen (in anderen Orten dieser Welt) diese Erfahrung gar nicht möglich ist.

Frauen an die Macht

Rein technisch-sachliche Planungen sind für diese Zusammenhänge in aller Regel blind. Und das hat nicht ausschließlich damit zu tun, dass die verantwortlichen Planer und Entscheider überwiegend Männer sind. Dennoch liegt auch darin sicher ein Teil der Ursache: dadurch das selten geschlechtsspezifische Daten erhoben werden und die beschriebenen Herausforderungen bei einem in Vollzeit beschäftigten Mann nicht zur täglichen, unmittelbaren Erlebenswelt gehören, könnte man auch hier einen Teil des Problems vermuten. 
Ich persönlich hingegen sehe noch einen anderen, aus meiner Sicht sehr viel entscheidenderen Zusammenhang. Wir planen heute immer noch und weit überwiegend ohne echte Einbeziehung der Menschen vor Ort, die von Maßnahmen betroffen sind oder Ideen für Verbesserungen haben. Dabei sind diese Planungsansätze, die vielleicht viel besser dazu geeignet wären, die Bedürfnisse von Frauen, aber auch von Kindern, Älteren und zum Beispiel von Migranten zu berücksichtigen, durchaus bekannt und anerkannt. Sie sind häufig sehr viel kleinteiliger angelegt und damit scheinbar komplexer oder weniger effizient. Am Ende zeigt sich aber häufig, dass mit Ansätzen auf Augenhöhe vor Ort viel mehr entsteht und in Bewegung kommt. In den Niederlanden kennt man das Polder-Modell: ein demokratisch-partizipatives Prinzip, das auf Gegenseitigkeit und Unterstützung beruht – im Zuge der Trockenlegung des Landes ins Leben gerufen wurde – und auf das man zurecht stolz ist. Vielleicht liefert diese Mentalität Frauen die nötigen Mitsprachemöglichkeiten, so wie es in den skandinavischen Ländern die traditionell fortgeschrittene Gleichstellung von Mann und Frau vermag. 

Im Zuge der COVID 19 Pandemie erleben wir derzeit vielerorts bemerkenswerte Veränderungen. Paris vollzieht in Rekordzeit eine umfassende Verkehrswende. Sabine Crook, Verkehrsaktivistin fragt auf dieses Thema angesprochen: „Wer weiß, ob diese Wende die unter einer Bürgermeisterin stattfindet, sich auch mit einem männlichen Stadtoberhaupt vollzogen hätte.“

Mehr Platz fürs Rad: während der aktuellen Pandemie brauchte es mehr Platz für größerem Abstand und verändertes Mobilitätsverhalten. Vielerorts – so wie hier in Hamburg – sind Pop-up Bikelanes zum Symbol dieser Entwicklung geworden,

Mehr Platz fürs Rad: während der aktuellen Pandemie brauchte es mehr Platz für größerem Abstand und verändertes Mobilitätsverhalten. Vielerorts – so wie hier in Hamburg – sind Pop-up Bikelanes zum Symbol dieser Entwicklung geworden,

Städte für Menschen sollten die Bedürfnisse aller Menschen gleichmäßig erkennen und verstehen lernen. Burkhard Horn, Stadt- und Verkehrsplaner weist in einem Zeitungsinterview mit der Berliner Zeitung richtigerweise darauf hin, dass in der Forschung Menschen mit Migrationshintergrund kaum vorkämen. Es gäbe kein Konzept, wie man sich mit ihnen auseinandersetzt, beklagt er und bezieht sich dabei auf den Bedarf eines offenen und vorurteilsfreien Diskurs`. Oft finden schon heute Veränderungen zum Positiven dort statt, wo sich Wohlhabende und Qualifizierte für ihre eigenen Belange einsetzen. Eine Garantie auf Verbesserung ist das auch nicht, dennoch können sich im Zweifel Menschen die über weniger Zeit und Einfluss verfügen darauf verlassen, das sich vor ihrer Haustür nichts tut. Eine Polder-Mentalität, die vor Ort alle gleichermaßen mit einbezieht könnte dazu beitragen, dass die Unterschiede für verschiedene Personen und Personengruppen oder zwischen einzelnen Quartieren und Stadtteilen nicht allzu groß werden. 

Untersuchungen in den Niederlanden zeigen, dass auch das E-Bike Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten hat – und dies insbesondere auch bei Frauen. Pedelecfahrer fahren mehr Kilometer und häufiger als zuvor und der Anstieg bei Frauen ist signifikant höher.

Untersuchungen in den Niederlanden zeigen, dass auch das E-Bike Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten hat – und dies insbesondere auch bei Frauen. Pedelecfahrer fahren mehr Kilometer und häufiger als zuvor und der Anstieg bei Frauen ist signifikant höher.

Hier geht es zum Thema „Bewegung und Erleben“