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Veränderungsbereitschaft? Geil!

Unter welchen Bedingungen finden Veränderungen statt? Welche Faktoren behindern Anpassung von Menschen und Systemen? Unter welchen Umständen ist es gut, an Bestehendem fest zu halten und wann wäre es besser auf das Neue zu setzen? Welche persönlichen Voraussetzungen benötigt man, um mit Veränderungen nicht nur zurecht zu kommen, sondern diese als Chance zu begreifen und zu nutzen? Diese Fragen beschäftigen mich schon seit einiger Zeit und ich meine immer mehr Muster zu erkennen, bei denen vor allen Dingen das Individuum im Vordergrund steht. Sozusagen als kleinstes gemeinsames Vielfaches unterschiedlicher Systeme – Familie, Arbeit, Gesellschaft – aber auch als einzige bestehende Einheit aus Körper und Geist.

Umbrüche immer schneller

Wir leben in einer Welt, in der immer schneller immer umfassendere Veränderungen statt finden. Beim Blick „in den Rückspiegel“ mag einem die technische und gesellschaftliche Entwicklung als stringent und folgerichtig erscheinen. Aber es gibt nachvollziehbare Betrachtungen, die eine (vielleicht sogar exponentielle) Beschleunigung der Geschwindigkeit auf verschiedenen Entwicklungspfaden erkennen lassen – nicht zuletzt im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ich bin weder Philosoph noch Wissenschaftler und halte mich daher mit Prognosen und der Entwicklung von Szenarien zurück. Worauf ich hinaus will ist, dass Veränderung statt findet. Immer schon und heute beschleunigt. Und diese fordert die Anpassungsfähigkeit von Systemen wie Gesellschaften, des Arbeitsumfeldes aber auch jedes Einzelnen heraus.

Beharrung scheint menschlich

Das Bestreben, an Etabliertem fest zu halten ist augenscheinlich groß. Selbst Passagiere eines sinkenden Kreuzfahrtschiffes, halten lange an der Idee fest, dass ihr schwimmendes Hotel nicht untergeht. Bis ihnen das Wasser um die Füße spült. Auch Individuen halten sehr lange an einer einmal gewonnenen Identifikation fest. Erst wenn ihnen das „Wasser bis zum Hals steht“, sie krank werden oder sie sonst an Grenzen stoßen ist die Bereitschaft groß genug, grundlegende Änderungen herbei zu führen, bzw. zuzulassen. Und ins Rettungsboot zu steigen.
Für dieses Beharrungsvermögen gibt es gute Gründe. Veränderungen – egal ob persönlich oder gesellschaftlich – sind mit hohem energetischem Aufwand verbunden. Gesellschaftlich haben wir meist die Kosten vor Augen. Aber in meinen Augen ist das zu kurz gesprungen. Veränderung muss nicht nur „bezahlt“, sondern vielmehr auch „geleistet“ werden. Am Beispiel individueller Veränderungsprozesse wird dies deutlich: ein Mensch ist an die Grenzen seiner persönlichen Identifikation gelangt. Er wird vielleicht krank und während das Gesundheitssystem und das Arbeitsumfeld (hoffentlich)  die wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, dass eine grundlegende Veränderung/Anpassung statt finden könnte, muss diese dann auch erfolgen. Sprich: das Individuum muss sich in eine komplexen Prozess von der etablierten, nicht mehr funktionsfähigen Identifikation lösen und einen neuen Kontext aufbauen. Ich hoffe der Zusammenhang wird klar.

Unsicherheit wird ausgelöst

Der zweite Grund, warum es grundsätzlich gut ist an Bestehendem fest zu halten liegt meines Erachtens auf der Hand. Es ist nicht nur „bequem“ (das meine ich nicht böse, es ist einfach nicht so anstrengend) sondern auch „praktisch“ (auch das ohne negativen Zungenschlag): es funktioniert doch. Wir alle leben in einer gewissen Erwartungshaltung, was die Zukunft angeht. Wir gehen davon aus, dass erst einmal alles so weiter geht wie bisher. Oder das sich wenig ändert oder die Veränderungsgeschwindigkeit uns nicht überfordert. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn an seinem Bild von sich und der Welt fest zu halten. Und alles dafür zu tun, das alles so bleibt wie es eben ist.
In einem bemerkenswerten Artikel las ich einmal von der Idee einen Menschen aus dem Mittelalter in die Neuzeit zu versetzen. Per Zeitmaschine jetzt und sofort. Eben noch lebte dieser Mensch in der Erwartung, dass sich nicht viel ändert. Jetzt kommt er in eine Welt mit Zügen, Autos, Smartphones und Computern. Dieser Mensch würde verrückt werden. In dem Artikel ging es weiter darum, dass auch uns ohne Zeitmaschine Anpassungen schwer fallen dürften, wenn sich die technische Entwicklung tatsächlich exponentiell beschleunigt. Aber das ist ein anderes Thema. Worauf ich hinaus will ist, dass das was heute noch gilt und hilfreich ist, Morgen schon völlig nutzlos sein kann. Das Ergebnis ist Unsicherheit. Das Alte ist unbrauchbar geworden und etwas Neues kann nicht so ohne weiteres aus dem Hut gezaubert werden. An unserem Mittelalter-Zeitreisenden wird das recht plakativ deutlich: wenn er nicht verrückt wird, wird er langsam aber sicher versuchen müssen, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Seine bisherigen Kenntnisse werden ihm dabei nicht helfen.

Veränderungsbereitschaft will gelernt sein

Nun zu der Frage ob es sinnvoll und hilfreich ist, sich – unabhängig davon, dass es gute Gründe gibt an Bestehendem fest zu halten – auf Veränderungen einzustellen und veränderungsbereit zu sein. Und ich sage ja. Aber bitte mit allen Konsequenzen und nicht, weil man „die Krise als Chance begreift“, oder Veränderungsbereitschaft „en vogue“ ist. Denn es ist aufwendig und unbequem und muss geleistet werden. Es braucht einen Veränderungsdruck, aber den werden wir alle zur Genüge zu spüren bekommen, wenn sich die prognostizierten Veränderungen auch nur ansatzweise abzeichnen. Wenn der Einsatz künstlicher Intelligenz dazu führt, dass das Arbeitsvolumen global auf ein Minimum einbricht. Oder sich auch nur deutlich reduziert und Einkommen nicht mehr ausschließlich mit Erwerbstätigkeit einhergehen kann. Leistung sich nicht mehr nur nicht lohnt, sondern gar keine Rolle mehr spielt. Wenn – wie Rifkin prognostiziert – der Kapitalismus wie wir ihn heute kennen, abgelöst wird und nur noch eine Randnotiz darstellt. Das würde, selbst wenn es sich relativ langsam vollzieht und in irgendwie nachvollziehbaren Schritten, unsere individuelle und gesellschaftliche Anpassungsfähigkeit gravierend herausfordern.

Du und ich

Und jetzt komme ich zurück zu meinen Menschen, der an seine persönlichen Grenzen gestoßen und krank geworden ist. Er weiß, was es bedeutet die Notwendigkeit einer Veränderung nicht nur zu erkennen, sondern diese auch zu bewerkstelligen. Es geht wie dargestellt nicht darum, die erforderlichen Schritte finanziell abzusichern. Sie müssen unternommen werden. Wir können uns nicht gegen gesellschaftliche und technische Entwicklungen versichern. Vielleicht können wir nicht einmal so etwas wie eine recht planbare Größe wie unsere eigene Rente vernünftig finanziell absichern. Aber um in einer sich (schnell) verändernden Welt nicht wie ein Mittelalter-Mensch aus der Zeitmaschine zu fallen, müssen wir bereit sein, uns anzupassen. Immer und grundsätzlich, nicht mehr und nicht weniger. Interessant ist, dass der Mensch als Einheit aus Körper und Geist zu umfassenden Veränderungen grundsätzlich in der Lage ist. Die existenziellen Bedürfnisse eines Menschen sind durch ihn selbst (sofern er gesund ist) und mit Hilfe der Gesellschaft grundsätzlich recht gut zu befriedigen. Sogar so gut, dass es den Individuen in der Vergangenheit möglich war, sich in der Gemeinschaft an die Umgebungsbedingungen anzupassen, als auch sich persönlich zu entwickeln. Vielleicht sogar besser als das manchmal heute der Fall ist. Aber das wäre dann ein anderes Thema

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