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Radreisen

Radreise durch Polens Norden IV

Eine Zeitreise im doppelten Sinne: ich lasse den Bericht von 2003 wieder aufleben, der mich damals auf die Spuren meiner eigenen Vergangenheit geführt hat. (Teil III gibt´s hier…)

Auf meiner Reise habe ich nun schon fast die Hälfte des nördlichen Polens hinter mir gelassen. Das bucklige Masuren  hat meinen Flachland-verwöhnten Beinen alles abverlangt und auch die ersten Küstenabschnitte entlang des Frischen Haffs und der Weichselmündung liegen hinter mir. Manch ein Leser mag unken, dass es mit der „Zeitreise per Velo“ wohl nicht weit her ist, wenn man vor allen Dingen historische Stätten, also die Vergangenheit bereist. All denen sei gesagt: Ein Cannondale-Rad eignet sich auf dem kommenden Streckenabschnitt weit besser für eine Zeitreise als ein DeLorean-Achtzylinder.  In der Trojmiaste, der Dreistadt bestehend aus Gdansk (Danzig), Sopot (Zopot) und Gdynia (Gdingen) hat die Zukunft bereits begonnen hat ….

Mit der Fähre über die Weichsel – die Ostsee schon zum Greifen nah

Danzig

Rad fahren bedeutet „ehrlich und ungeschminkt erleben!“ Das ist meistens sehr schön. Neben den herausgeputzten Innenstädten hat aber jede Stadt auch ihre Randbereiche. Das ist in den Bremer Hafen- und Gewerbeviertel nicht anders in den Vororten von Gdansk. Der Himmel hat sich zugezogen, es regnet wie aus Kübeln und außer der Hauptverkehrsstraße gibt es kaum eine Einfahrtschneise in die Stadt. An Radfahrer hat man bislang kaum einen Gedanken verschwendet. Und das erweist sich hier wo der Verkehr wesentlich stärker ist als auf dem Land durchaus als Nachteil. Kilometerweit radle ich durch den Regen, quetsche mich mit LKW´s über schmale Brücken, wechsle die Straßenseite, weil auf der dreispurigen Strecke gar nichts mehr geht. Es dauert lange bis ich in die Nähe des Zentrums gelange. Hier fahre ich auf Nebenstraßen, Fuß- und Radwegen; alles bucklige Pisten, mit Scherben übersät. 

Ton in Ton auf der Weichselfähre und vor dem Krantor in Gdansk: meine Zeitmaschine macht sich gut…

Rechts und links der Straße sind die Industriestätten zunächst in Großmärkte und letztlich in Einzelhandelsgeschäfte übergegangen. Der Einfluss westlicher Marken und Produkte ist unübersehbar. Schließlich sind wir in „A-Polen“. Der Aussteiger im nordöstlichen Polen hat  mich aufgeklärt: Die abgelegenen Gebiete der Republik, dünn besiedelt und landwirtschaftlich geprägt gelten als „B-Polen“. „A-Polen“ sind die aufstrebenden Großstädte und deren Umland. Neben Gdansk zählen u.a. auch Warschau und Stettin dazu. Und tatsächlich hat hier die Zukunft bereits begonnen. Hinter der nächsten Häuserfront tauchen die ersten Zinnen der Altstadt auf. Das Zentrum ist dicht bevölkert, trotz des Regens. Über die historischen Brücken strömen in die wieder auferstandene Altstadt bunt zusammen gewürfelte Haufen von Touristen – alle gemäß ihrer Herkunft mit Buttons markiert – nämlich dem Bus zugeordnet, der am Rande der Altstadt wartet. Ich nehme mir eine ganze Stunde Zeit die Innenstadt in mich aufzusaugen. Im Schatten des Krantores trinke ich einen Kaffee. Zwischenzeitlich lässt der Regen etwas nach, auch als ich mich auf den Weg aus der Stadt heraus in Richtung Sopot mache. 

Die Trojmiaste

Nun ja so richtig aus der Stadt raus gibt es in der Dreistadt gar nicht. Ich fahre Kilometer um Kilometer, Stunde um Stunde durch die Stadt. Beschauliche Abschnitte wechseln mit Schnellstrassen immer quer durch die 770.000 Einwohner zählende Metropole. Langsam wandelt sich wieder das Bild. Der Einfluss des mondänen Seebades Sopot setzt sich durch. Der Verkehr aber bleibt scheinbar undurchdringlich. Ich schlage mich bis zum Strand durch, überquere die Promenade und stehe auf einem Mal am breiten Strand der Danziger Bucht. Aus dem Bierpavillon schallt Dire Straits „Brothers in arms“ für niemanden, denn der Pavillon und auch der Strand sind leer. Über der Bucht hängt ein feuchter Nebel, aber man kann trotzdem weit entlang der Küstenlinie gucken und es ist traumhaft schön!

Obwohl es heftig angefangen hatte zu regnen, macht dieser Rikschafahrer für das Foto noch einmal Halt

Nur schwer kann ich mich lösen. Ich fahre entlang der Promenade, alte hölzerne Seebadgebäude passierend zur großen Seebrücke Sopots. Der Weg durch den strandnahen Kiefernwald verläuft sich sprichwörtlich im Sand des Strandes und über eine einige Umwege komme ich wieder auf die Hauptstraße, diesmal in Richtung Gdynia. Diese Stadt, Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr als ein kleines Fischerdorf  mit 1.300 kaschubischen Fischern und Familien hat heute 252.000 Einwohner. Diesem rasanten Wachstum ist es wohl zu verdanken, dass die Stadt heute vor allen Dingen von Plattenbauten geprägt ist. Ich lasse das ansprechende Seebad hinter mir und tauche in die aneinander stoßenden Ortsrandrandlagen ein. Schön ist es hier nicht. Der Regen hat wieder zugenommen und manche Steigung ist zu überwinden. Beim vierten oder fünften McDonald´s, den ich an diesem Tag passiere habe ich meinen zweiten Plattfuß an diesem Tag. Schmunzelnd flicke ich den Hinterradschlauch unter dem Vordach des Fastfood-Restaurants. Mir vermiest heute nichts mehr den Tag!

Es dauert noch bis zum Abend, bis ich auch Gdynia passiert habe und am Rand einer Hügelkette mein Nachtquartier in einem Hotel suche. Es ist einigermaßen teuer, aber weiter fahre ich heute nicht mehr. Auch die dritte Stadt der Trojmiaste hat ihren ganz eigenen Charme. Vor allen Dingen ein hoch gebautes Zentrum – scheinbar ohne historische Wurzeln. Die späte Sonne blinzelt durch die Wolken, als ich es mir in dem in Rosa- und Pastelltönen gehaltenen „Plüschzimmer“ gemütlich mache. Meine nassen und dreckigen Klamotten hängen zum trocknen im Badezimmer.

Der Ort Puck und die Pucker Bucht locken mit maritimen Flair – man merkt bereits 2003: hier tut sich was

Puck und die Halbinsel Hel

Der nächste Morgen verspricht einen herrlichen Tag. Die Regenwolken haben sich verzogen, meine Sachen sind wieder trocken und das Frühstück ist übermäßig. Normalerweise esse ich erst im Verlaufe des Vormittags, heute habe ich dagegen schon von Anfang an etwas zu verbrennen. Und das ist auch gut so. Nur einige Kilometer von der Küste entfernt erklimme ich die ersten Hochlagen. Die Randgebiete der Städte habe ich schon gestern hinter mir gelassen. Mit wesentlich weniger Verkehr auf der Straße mache ich mich auf in Richtung Nordwest.

Das erste Ziel an diesem Tag heißt Puck (Putzig). Der Kleine Ort ist durchweg sehenswert und hat auch schon einige Geschichten und Geschichtliches hinter sich gebracht. Von der schmucken Strandpromenade kann ich über die Mole hinaus bereits die Halbinsel Hel in der Morgensonne sehen. Mein Weg entlang der Pucker Bucht ist sozusagen vorgezeichnet. Ich ziehe die kurze Hose an und radle vorbei an kleinen Bürgerhäuschen aus der Stadt heraus. Die unfassbare Natur hat mich wieder und jeder Blick zurück in die Bucht oder nach vorn zur Halbinsel scheint anders und sehenswert. 

Ich erreiche Wladyslawowo. Im Ort reges, maritimes Treiben – der Ort ist gut besucht und die Urlauber schon am späten Vormittag auf den Beinen. Die Halbinsel Hel, östlich des Ortes gelegen, ist ein Hauptanlaufpunkt für Touristen. Mein Weg führt mich entlang der Küste nach Westen. Hier schließt sich die Steilküste an. Immer wieder wechseln sich kleinere und größere touristische Orte und Streckenabschnitte mit Kiefernwälder ab. Karwia ist der letzte Ort einer wie auf eine Kette gezogener Perlen, bevor sich die Straße Richtung Süden von der Küste entfernt. Die Badeorte liegen zunächst nur wenige Kilometer von der Verbindungsstraße entfernt, der bekannte Ort Leba dann bereits zwölf Kilometer. So sieht man vom Rad aus von der ursprünglichen Küste und dem auf dem Weg gelegenen Naturpark mit den küstennahen Seen nicht viel. Die Strecke im Landesinnern ist ungleich eintöniger, wenngleich landschaftlich reizvoll. Der Küstenabschnitt westlich der Pucker Bucht ist sicherlich etwas für einen längeren Aufenthalt und nicht für die Durchfahrt, die mit vielen Umwegen und Abstechern unendlich lang geworden wäre. So erreiche ich  nach gut 150 Kilometern Slupsk (Stolp), mein heutiges Tagesziel. Trotz der optimalen Bedingungen, schätzungsweise 25° C und seichtem Nordost-Wind bin ich schon bereit für ein Quartier. Aber kein Quartier für mich! Auf der Suche nach einem Zimmer komme ich aus dem Ort heraus. Rund 15 Kilometer weiter schlägt der erste Versuch fehl ein privates Zimmer zu bekommen. Erst in Ustka komme ich bei einem älteren Pärchen unter. Nach nunmehr 174 Kilometren sitze ich bei Ihnen im Garten vor dem kleinen Fremdenappartement, die Katze umstreift meine Beine und ich bin unbeschreiblich glücklich. Seeluft liegt über dem Ort.

Rast im Schatten des Kirchbaus und Blick von oben auf die Steilküste

Entlang der Küste nach Koszalin

Nach der langen Etappe des gestrigen Tages entschädigt der Start in der kleinen Stadt Ustka für manche Mühe. Die Gemeinde entwickelte sich einerseits zum Hafen für die Stadt Slupsk zum anderen zum größten polnischen Seebad zwischen Sopot und Kolobrzeg. An diesem Morgen radel ich durch die erwachende Stadt. Aber auch hier gibt es leider keine ausgeprägte Küstenstraße , so dass ich schon kurz hinter Ustka wieder in einigen Kilometern Abstand zur Küste unterwegs bin. Es sind entweder fehlende Querverbindungen, ausgedehnte und schwer zugängliche Naturparks oder so wie kurz hinter Darlowo (Rügenwalde), dem nächsten größeren Ort den ich erreiche, militärische Gebiete die den Weg direkt an der Küste verhindern.  

Kurz vor Darlowo treffe ich auf eine radelnde Reisegruppe aus Polen und Deutschland, die vergeblich versucht, dem stetigen Nordostwind auszuweichen. Mir selbst kommt dieser Wind gelegen. Nachdem ich die Stadt mit ihrem historischen Kern hinter mir gelassen habe, mache ich mich auf den Weg nach Koszalin. Ein Weg im übrigen, den man sich getrost hätte sparen können. Zum Einen ist die 100.000 Einwohner-Stadt nicht wirklich sehenswert, zum anderen liegt sie auf dem Gora Chelmska, dem Gollenberg auf 136 m Höhe. Das bedeutet in der ansonsten flachen Ebene unnötige Mühen und den Verzicht auf eine beschauliche Küstenstrecke nördlich der Stadt. Und auch der Weg zurück an die Küste lässt Wünsche offen….

Fortsetzung folgt… (hier gibt´s Teil V)